Kurz vor Weihnachten

45 Minutes

Eigentlich freute sie sich auf Weihnachten. Sie würde unvernünftiger sein dürfen, sie würde schenken dürfen, verwöhnen und sich wieder bei Menschen melden. Einfach so, weil Weihnachten ist und nichts weiter von sich damit verraten.
Sie dachte auf einmal kindlich an Weihnachten, eine Leichtigkeit, der Traum, dass alles gut war. Wie in den Filmen, beisammen sitzen, Wein trinken, glücklich sein, geliebt und… ach…
Sie stand am Fenster und sah hinaus. Eigentlich könnte es wirklich schön sein. Freute sie sich?
Nein, es würde ein endloser Stress und Hektik sein.
Schon jetzt wurde ihr geradezu schwindlig bei dem Gedanken, was alles gemacht werden musste.
Und er?
Sie waren nun schon sehr lange zusammen, viele Weihnachten. Sie hatten einiges zusammen aufgebaut. Man konnte stolz sein.
Würde er überhaupt zeitig am Bahnhof sein?
Alles würde zu knapp sein. Wie immer. Er verließ sich darauf, dass sie es schon richten würde. Er konnte sich rausziehen in seine Arbeit und, ach… morgen abend würde sie auf sein Betriebsweihnachten mitgehen. Lächeln, strahlen, ach…. Sie seufzte. So würde es weitergehen. Weihnachten, und dann wäre er müde, erschöpft. Was man verstehen kann. Sie war es auch. Er würde Trost und Zuhause erwarten. Und sie?
Ein bisschen traurig, dachte sie, es ist irgendwie vorbei mit dem Sich-freuen. Ein Hintersichbringen, ein Durchhalten ist es, das immer trockener wird.
Sie hängte seinen Anzug, der auf einem Stuhl lag, über den Bügel, strich ihn glatt, fühlte eine Fremde. Wer war er jetzt dieser Mann?
Auf dem Treffen, letzte Woche mit seinen Kollegen hatte sie ihn lachen sehen mit ihrer Freundin. Der Mann ihrer Freundin hatte darüber eine seltsame Bemerkung gemacht, so dass man denken konnte, er wäre von diesem Lachen gekränkt oder eifersüchtig. Sie hatte versucht es irgendwie im Gespräch gerade zu biegen. Später hatte sie beide aber noch einmal herzlich lachend am Fenster stehen sehen. Er lachte. Irgendwie hatte es sie beängstigt.
Sie schob den Anzug tiefer in den Garderobenschrank und schloss die Tür.
So weit war man gekommen, dachte sie, dass es schon beunruhigend war, den anderen Lachen zu sehen.
War er ihr fremd geworden? Wer war er? Wann hatte er zuletzt gelacht, hier mit ihr? Wann hatte sie selbst gelacht? Wann schon auch, worüber auch? Es war keine Zeit.
Sie dachte an die Erzählungen ihrer Freundinnen auf dem letzten Treffen. „Man weiß nie“, hatte Susi gesagt, „man muss aufpassen, es nicht zu weit kommen lassen und denk nur an diese heile Familie Schmitz, auf einmal war es passiert und er war weg.“
Sie zog ihren Schal fest um den Hals.
Nicht so weiter denken, nicht heute, es war doch alles gut, eigentlich, kein Problem, alles gut, wie es sein sollte und jetzt Weihnachten.
„Weihnachten“, sagte sie laut zu sich selbst, „ist schön“, die Familien sitzen zusammen, Plätzchen duften im Ofen, man spielt und plaudert und das Jahr geht zu Ende.
Eine doch eigentlich unverfängliche Zeit.
Sie packte ihre Tasche.
Gleich würden sie sich am Bahnhof treffen. Sie freute sich fast.
Er war noch nicht da. Menschen eilten auf den Gleisen, manche fuhren schon weg.
Wegfahren, dachte sie. Sie freute sich gar nicht. Gar nicht auf Weihnachten, auf alles, was sein würde. Das aufgezwungene Nettsein.
Sie tröstete sich einen Moment darüber hinweg, indem sie erkannte, dass sie einfach erschöpft war, müde vom ganzen Jahr. Und jetzt einfach Weihnachten, tralala, hatte ihr gerade noch gefehlt.
Es war nicht das, woran sie gedacht hatte, wenn sie an Weihnachten dachte. Es war ein Wust von Hektik und Mithalten-können, sich selbst übertrumpfen, kurz, Stress. Und wenn sie so darüber nachdachte, war auch etwas Entfremdendes darin. Er würde brav alles machen, zu den Eltern zuvorkommend sein, sie würde eilen und man würde sich anlächeln und hinter dieser Lächelmaske komplett verschwinden.
„Ach reiß dich zusammen“, sagte sie zu sich selbst.
Wo blieb er nur?
Auch jetzt ließ er sie warten, sie würde ja warten, was blieb ihr anderes übrig? Und sie müsste ja für ihn Verständnis haben, müsste sie doch…

Er schloss die Bürotür hinter sich ab, und einen Moment zögerte er, so als ob es ihm schwer fiele. Doch, er freute sich auf freie Tage.
Alles war doch gut und Weihnachten ist schön. Muss schön sein. Eigentlich freute er sich ja, wieder Zeit mit seiner Familie zu haben, Zeit mit seiner Frau.
Er versuchte seine schlechte Laune in den Griff zu bekommen, was ihm nicht gelang.
„Weihnachten“, sagte er zu sich selbst. Ein Wust von Erwartungen schien über ihn herein zu brechen. Erschlagen von Erwartungen, die er würde erfüllen müssen und von denen, die er nicht erfüllen können würde, sah er sich am Boden liegend unter dem Weihnachtsbaum, der zerknirscht seine inzwischen sehr trockenen Nadeln auf ihn herabrieseln lassen würde.
Wie sollte er hinüberkommen, über diese Tage, die ihm einzig dazu dienen sollten, jetzt vollständig zu scheitern.
Es war spät. Er eilte zum Bahnhof.
Er sah sie dort am Eingang unruhig auf und ab gehen, seine Laune verdunkelte sich…er war zu spät…

Sie hatten sich entschlossen mit dem Zug in die nächste Stadt zu fahren. Sie hatte dort noch eine Besprechung, er würde in der Zeit seinen Anzug vom Schneider holen, dann würden sie diesmal endlich ein paar Weihnachtseinkäufe gemeinsam erledigen, vielleicht bliebe noch Zeit, bei Freunden vorbeizuschauen, bevor sie abends zurück fahren würde, und er direkt weiter zum letzten Seminar vor Weihnachten, das er halten musste.
Wenn es zeitig genug wäre, hätte er noch Zeit bei seinen Eltern vorbeizufahren, um die Weihnachtstageplanung zu klären.
Sie hatten den Zug gewählt, diesmal, um nicht zu sehr in Stress zu geraten und auch wegen dem Wetter. Mit dem Zug dauerte es eine Stunde. Man fand so schlecht mitten in der Stadt Parkplätze während des Weihnachtseinkaufsrummels. Außerdem könnte er im Zug seinen Vortrag lesen und sie hatte sich vorgenommen mit ihm die Weihnachtstage zu planen, und die angestauten Zettel in ihrer Tasche zu ordnen.
Den Zug hatten sie gerade noch bekommen. Sie mussten rennen und er ihr noch die Tür aufhalten, sie hatten 2 Stationen lang mangels Sitzplatz stehen müssen, nun hatten sie glücklicherweise einen Platz gefunden.
Sie saßen sich gegenüber.
Sie kramte in ihrer Tasche, räusperte sich dann. Wie er es hasste, dieses Räuspern.
Er seufzte.
„Was seufzt du?“, sie sah ihn erbost an.
Auf einmal hielt der Zug mitten auf der Strecke.
Die Ansage kam nach einer Weile: „Wegen eines Unfalls halten wir auf unbestimmte Zeit“. Eine weitere Ansage folgte: „Wir können die Fahrt voraussichtlich erst nach Stunden fortsetzen.“
„Ich habe dir doch gesagt, wir hätten nicht mit dem Zug fahren sollen!“ „Du hast doch das Auto nicht rechtzeitig in die Werkstatt gebracht!“, „Ich hatte dir gesagt, wir sollten früher fahren, aber du warst nicht fertig!“ „Weil ich deine Einkäufe machen sollte!“ So ging es eine Weile, dann schwiegen sie.
Er hätte sie schlagen wollen, am liebsten, er riss sich zusammen.
Sie dachte auf einmal, ich könnte ihn hassen, schlüge er mich doch, dann wäre es zerschlagen. Sie hätte heulen können. Nichts war ihm recht. Beide rissen sich am Riemen, verbrauchten ihre Kraft, fühlten sich auf einmal klein. Jeder für sich, sahen sich an, wollten etwas sagen…„sag jetzt nichts!“ Sie sahen sich zornig an, erschraken und sahen krampfhaft aus dem Fenster.
Er krampfte seine Hände fest in seine Knie, als würde er seine Füße im Boden zementieren. Sie hielt die Hände verkrampft ineinander gefaltet, dann kramte sie aufgeregt ein Taschentuch aus ihrer Tasche. Er sah weg, sah auf den Boden „…das kann hier noch Stunden dauern, die Termine kann man also vergessen“, „…ja daran denkst du!“, sagte sie, „daran denkst du, an deine Termine…bitter, es ist bitter!“, „ja es ist bitter, wie du denkst, über alles denkst mit mir, als wollte ich nicht, als täte ich es extra!“. „Wie anders sollte man es auch verstehen? Und du drängst mich in die Rolle der bösen Kleinen, wegen der das und das nicht geht, nicht mal was zum Lachen lässt sie einem! Dabei tut man alles“. Nicht jetzt auch noch weinen, dachte er, tu mir das nicht an!
Er zog sich tiefer in eine innere Kühle zurück.
„Man könnte ja miteinander reden, die Zeit trotz allem zusammen nutzen, aber du hältst ja Zeit mit mir im Zug nicht aus, du denkst an deine Termine und schnell erledigen und, natürlich platzen meine Termine auch, aber wann hast du das letzte mal nach meiner Arbeit gefragt?“

Sie fühlten sich auf einmal klein. Der Zug stand still. Jeder für sich, sahen vorsichtig zum Anderen hinüber, erschraken, als sich ihre Blicke kurz trafen.
Die Berge aufgebauter Erwartungen, Verletzungen, Ängste, Kränkungen; es lief alles vor ihren inneren Augen ab. Immer wieder setzten sie an, aber es wurde mehr und mehr Wasser aufgewühlt. Eine Kälte und Fremde machte sich breit.
Es würde nicht weitergehen, so konnte es nicht weitergehen.
Sie schwiegen.
Wann hatten sie sich verloren?, dachte er. Warum?
Es hatte keinen Sinn mehr, sie konnte nicht mit ihm aussteigen, Weihnachtseinkäufe machen, nie mehr! Kein Weihnachten mehr, nie mehr so! Nie mehr, dachte sie. Er war ihr fremd, wie er da saß, ja, kühl, war wie er alles machte, dachte sie.
Dann überfiel sie ein Mitleid mit ihm. Er kam ja gar nicht zurecht, alles war aufgesetzt. Für was würde er sich einsetzen? Was hatte sie alles in ihm gesehen? Es war Lüge, sie machte sich etwas vor…vielleicht ging er fremd. Sie sah ihn missachtend an. Wie konnte er ihr das antun? Wieso hatte er ihr das angetan?
Und sie? War sie nicht auch viel glücklicher, wenn sie auf der Arbeit mit ihren Kollegen war?

Der Lautsprecher schaltete sich ein: „In wenigen Minuten setzen wir die Fahrt fort.“
„Ich kann so nicht einkaufen mit dir“, sagte sie.
Er antwortete nicht.
„Wie soll Weihnachten überhaupt so gehen?“ er wagte kaum sie anzusehen. „Es geht nicht, …deine Eltern noch dazu,…ich kann es nicht ertragen, es geht nicht.“
Der Zug fuhr weiter.
Sie stiegen aus.
Er sagte: „Ich nehme mir ein Hotel und fahre nach meinem Seminar über die Weihnachtstage weg, es hat keinen Sinn.“ „Nein, es hat keinen Sinn“, sagte sie und ging energischen Schrittes zur Treppe. „Ist es vorbei?“ fragte er, sie antwortete nicht. „Offensichtlich haben wir keine Kraft mehr“, sagte er und hatte Angst zu zerbrechen.
„Ach, du wirst ja sicher offene Arme finden“, murmelte sie, „ich gehe jetzt.“ Einen Moment hoffte sie, er würde ihr nachgehen, sie umarmen, alles wäre wieder gut. Aber dann wieder war sie froh, dass er es nicht tat, denn so konnte es nicht weitergehen.
Sie war wütend. Sie ging in die Stadt, hielt einen Moment inne, dachte sie bräche in Tränen zusammen, raffte sich wieder auf, nein! Jetzt erst recht! Und ging alle Geschenken kaufen, mit eiserner Disziplin. Nur nicht für ihn, das konnte sie sich jetzt sparen.
Er ging seinen Mantel abholen und hatte ein seltsames Gefühl, wie in einer Zwischenwelt. Er wußte nicht, wie es ihm ging, was ihm geschah und was er wollte, noch wer er war. Er hatte sich definiert, als eifrigen Familienmensch, für alles sorgend, verantwortungsvoll, was konnte man ihm vorwerfen? Nichts. Er hatte keine außerehelichen Dinge gemacht, auch selten gedacht. Eigentlich, dachte er, er liebte seine Frau, aber? Er schüttelte den Kopf, ihm ging alles auf die Nerven. Was sollte das alles?
Plötzlich war er wütend, er würde nicht kommen, es war aus, er hätte es schon lange sehen müssen. Sie waren sich fremd geworden. Sie hatten keine Freuden mehr zusammen, nur Arbeit. Durchhalten und Erwartungen.
Welche Erwartungen hatte er eigentlich? Und welche sie?
Er wußte es nicht, bis auf die Kleinigkeiten, wie einen Blumenstrauß, in dem sie aber dann doch nur Alibi oder Versöhnungswunsch las. Kannte sie jemand anderes?
Er wußte es nicht, aber es musste doch so sein. Als sie sich kennenlernten war sie so voller Gefühl und Temperament und Humor, wo lebte sie das jetzt? Und er selbst?

Später setzte er sich in das Kaffee eines Buchladens. Er hatte ja jetzt Zeit. Zu seinen Eltern würde er heute nicht fahren. Er würde ihnen morgen absagen…
Er sah den Leuten beim Einkaufen zu.
Da sah er sie, an einem Büchertisch. Ihre Hände, die ein Buch hielten, zitterten ein wenig. Große Einkaufstaschen hatte sie neben sich gestellt. Ja, sie hat schon alles besorgt, eisern und diszipliniert machte sie weiter.
Früher hatte er gerade dies an ihr bewundert. Sie hatte ihn gefragt, ob er es nicht blöd fände oder spießig. Er hatte gesagt, nein, gerade das bewundere er an ihr, dass sie unter allen Umständen immer die Dinge aufrecht erhielt, das Leben sozusagen weitertrüge, hatte er großartig formuliert. Sie hatte gelacht und gesagt, wie schön du alles an mir machst.
Er sah sie, dort am Regal, mit einem Abstand wie schon lange nicht. Sie war sein Typ Frau.
Sie sieht gut aus, nur etwas müde und sehr angespannt, kein Wunder, dachte er.
Hatte sie das, was sie gesagt hatte, so gemeint?
Sie las in einem Buch. Er sah sie an und fühlte, wie sein Blick freier wurde. Was konnte sein?
Sie war es, sie war die Frau, die er liebte. Sie war so weit mit ihm gegangen.
Was war geschehen? Wie hatte er sie verlieren können? Wie hatte er soviel zwischen sich und sie kommen lassen?
Auf einmal sah er sie! Sah sie so, wie sie war.
Sie sah ihn dort sitzen. Er stand auf, und ging zu ihr. Wir können so nicht weiter, war ihm klar, so nicht. Ohne eine Wort drehte sie sich plötzlich um und ging.

Sein Seminar am nächsten Tag hielt er trocken und nüchtern. Es war ein stiller und lebloser Tag.
Er blieb über Nacht im Hotel, ging aber nur kurz mit den Kollegen an die Bar, schlief schnell und sehr erschöpft ein, wachte früh auf und entschloss sich sofort zurückzufahren.
Er musste es klären, vor Weihnachten, mit ihr.
Die Zugfahrt kam ihm elend langsam vor…ich muss zurück! Zurück zu mir, zu ihr, dahin, wo ich war.
Der Zug hielt, er wollte zu Fuß nach Hause gehen. Er dachte an sie, dachte daran, dass auch sie sich verändert hatte, dass Zeit vergangen war. Vieles sah er anders, aber vieles vielleicht auch besser, nicht mehr so Angst beladen. Jetzt, dachte er irgendwie, es musste ja weitergehen, es würde ja weitergehen, ich liebe sie.
Plötzlich musste er daran denken, wie er meistens nach Hause kam. Erst freute er sich, wenn er sein Büro verließ! Ich hab frei schnell, schnell nach Haus! Er beeilte sich, als gälte es Zeit zu retten, ja oft beeilte er sich sogar mehr, als wenn er pünktlich bei der Arbeit sein wollte, ja manchmal rannte er sogar um eine frühere Bahn zu erwischen auf dem Hinweg, was er morgens nie getan hätte. Er hätte sich diesen Kraftaufwand nicht zu getraut. Nämlich dann, wo die Freiheit vor ihm lag, die freie Zeit, da konnte er es wagen. Kaum aber näherte er sich seinem Zuhause, mischte sich ein anderes Gefühl unter die Freude, wie ein Dämpfer. Alles wurde etwas dumpfer.
Er stieg aus. Wie sollte es auch sein? Das Leben nahm seinen Lauf. Andere hatten auch etwas zu tun, ihr Leben und einen harten Tag und ein Recht auf zu Hause, dachte er. Oder besser einen Anspruch auf ein Zuhause…einen Anspruch?
Was war zu Hause?

Er sah die Straße hinauf. All die kleinen Häuschen, in denen Menschen wohnten, Zuhause bildeten. Ein zu Hause ist vielleicht kein festes Gefüge, es ist etwas Immer-wieder-neu-zu-schaffendes. Dieser Gedanke ging durch ihn, wie eine Erschütterung. Ein Zuhause ist täglich zu erbauen.
Aber wer erbaute es? Was war zu Hause?
Ein Zufluchtsort, ein Ort, an dem man sich lassen konnte, sich unterbringen konnte, ein Schutzraum. Was aber wurde aus einem Schutzraum in einer Beziehung?
Man war da, um sich sein, existieren, bestehen zu lassen, für einander und das war schön. aber konnte er sie sie selbst sein lassen? Konnte sie ihn er selbst sein lassen?
Er sah sich, wie er allabendlich eintrat, wie plötzlich dieses stürmende Gefühl, ich umarme meine Geliebte abbrach, wie er es sogar lächerlich fand, dieses wie ein Kind der Mama in die Arme springen, hören wollen, ich hab`s gut gemacht. Auf ihn sollte man zukommen. Auch die Blumen, damals, hatte er dann in seiner Hand hängen lassen, gerade noch über die Lippen gebracht, „für Dich“, war mürrisch auf den Boden blickend in die Küche gegangen, hatte an einem Teller genascht, die Zeitung gefunden, sich gerade noch hinter den großen Seiten versteckt, gefragt, „und, wie war dein Tag?“ Sie hatte schnippisch geantwortet, er war wütend aufgesprungen, hatte die Zeitung aufs Sofa geknallt, vor sich hin geblubbert, „und dafür arbeitet man dann den ganzen Tag“, hatte sich geärgert über einen Brief, der noch an der Tür lag und hätte heute Nachmittag von ihr eingeworfen worden sein sollen. „Auf nichts kann man sich verlassen in diesem Saftladen“, dachte er. Er hatte seine Sporttasche geholt und knallte die Haustür. Sie hatte bestimmt geweint, das wusste er? Das wusste er, und es machte ihn noch saurer. Und die anderen Abende waren oft ähnlich verlaufen, vom Prinzip her. Manchmal knallte auch sie die Tür und ging. Was war das eigentlich, dachte er.
Vor einem Schaufenster blieb er stehen. Sein Gesicht wurde leicht von der Scheibe gespiegelt.
Warum sollte er es nicht schaffen? Er wollte es schaffen.
Er lief den Weg hinauf. Noch 2 Straßenecken, und er würde das Haus sehen, ihr Haus.
Plötzlich erkannte er, es gab keinen Weg zurück – aber es gab einen Weg dorthin!
Er fühlte plötzlich etwas nach vorne denkendes, eben nicht rückblickendes. Eine neue Richtung, eine Richtung, die ihn sich fröhlich fühlen ließ und heller.
Ich muss auf meine Beziehung zu gehen. Immer wieder zu gehen, auf mein Leben, auf das, was mir wichtig ist. Nichts bleibt einfach so, alles wächst in irgendeiner Weise.
Er fühlte sich offen, seit langem offen, und bei sich.
Ich werde auf sie zugehen, wieder auf sie zugehen.

Er stand am Ende der Straße und blickte hinauf, weit hinten wohnte er. Er wusste nicht, ob es überhaupt einen Weg zurück gab, für ihn.
Es war wie ein Trümmerhaufen, der sich um ihn herum breit gemacht hatte.
Er ging langsam weiter.
Auf einmal sah er sie, hinten an der Bushaltestelle stehen.
Eine Frau, etwas zerbrechlich wirkend, still, fast unnahbar stand sie da, einen kleinen Koffer bei sich.
Er war nervös – hielt inne – beschloss dann weiter zu gehen.
Was würde er sagen? Wie würde er ihr begegnen? Wo wollte sie hin? Ging sie fort?
Sie stand an der Bushaltestelle. Warum würde sie fort gehen? Oder ging sie nur kurz irgendwohin, zu jemandem?
Irgendwie standen sie plötzlich beide an der Bushaltestelle, betrachteten sich schüchtern, wussten nichts zu sagen, noch sich zu verhalten. Aber etwas hielt ihn dort stehen zu bleiben. Es gab noch etwas, da war noch etwas, dachte er.
Der Bus kam. Sie stieg zögernd unsicher ein, drehte sich scheu nach hinten blickend um. Ihr Blick streifte ihn mit etwas Fragendem.
Er stieg einfach auch ein.
Sie fuhren eine lange Weile, bis ans Ende der Stadt.
Dort war der Hafen, und der Flughafen, bevor der Bus hielt, sagte er, „darf ich dich zu einem Kaffee einladen, bitte?“
Sie sah ihn an und lächelte ein winziges bisschen, „okay“.
Sie stiegen aus und gingen in das nächste kleine Café, saßen sich schweigend gegenüber, schauten hinaus, auf die graue Straße, die trüb wirkende Stadt.

„Hattest du etwas Bestimmtes vor? Ich würde dich gerne noch ein bisschen begleiten?“ Sie zögerte, sah auf ihren Koffer, sah hinaus, sah ihn kurz und flüchtig an und sagte, „ich muss noch etwas besorgen, wenn es dich nicht langweilt, aber –“, sie nahm ihren Koffer in die Hand, „in einer Stunde muss ich gehen.“
Ihre Stimme klang hart.
Sie gingen in ein Kaufhaus. Sie suchte nach einer CD. Sicher für ihre Eltern, dachte er. „Ich warte hier, an der Kasse“, „Gut“.
Er sah ihr zu, wie sie ging, den kleinen Koffer hinter sich her ziehend. Warum war er mitgegangen? Warum hatte sie ihn mitgenommen?
Er sah scheu zu ihr hinüber, unendlich vorsichtig. Er hoffte sie würde es nicht bemerken…er war ängstlich mit dieser neuen Offenheit, die ihn ergriffen hatte.
Was, wenn sie merkte, dass er sie ansah? Und was wäre mit ihm, wenn er erkennen würde,…
Er erinnerte sich an die Tage, an denen er zuhause war, an denen er versuchte alles optimal hinzubekommen. Wo es ihm erst leicht erschien, aufzuräumen, alles schön zu machen. Und es war ihm nur einmal fast gelungen, die anderen Male zählten zu seinen gescheiterten Tagen.
Die Zeit war an jenen Tagen viel zu schnell vergangen. Er war mit nichts fertig geworden, hatte nicht erledigt, was er wollte und war zu allem Überfluss auch noch müde geworden. Sie war nach Hause gekommen und er war so schlecht gelaunt, dass auch dieser Abend versaut gewesen war.
Was wollen wir eigentlich? Er sah sie wieder vorsichtig an.
Was war das? Was beherrschte sie beide, was trieb sie und warum lebte man zusammen? Um sich zu missbrauchen, als Abladeplatz, als Punchingball, als Fürsorge, als Spielzeug, als was auch immer?! Er fürchtete sich fast vor seinem plötzlich klaren Denken.
Er sah sie an und diesmal sah sie zurück, beide erschraken, als sich ihre Blicke begegneten. Sie sah sofort weg. Er dachte, sie ist ängstlich, zerbrechlich und auch allein. Auch allein, dachte er.
Wieso auch? Ich bin allein, aber eigentlich doch nicht, ich habe sie. Jeder ist allein. Und wir können nicht einfach bestimmen, dass uns jemand darüber hinweg täuscht, zueinanderhalten, das Zueinanderhalten erhalten, er wollte es erhalten.
Zu einander ist eine Bewegung.
Führte er diese Bewegung noch aus?
Meistens fühlte er sich angegriffen, er war ihr nicht gut genug, dachte er, machte es nicht gut genug. Er war nicht der, den sie wollte, den sie verdient hatte. Stimmte das?
War es wirklich das, was sie dachte? Oder war es nur das, was er fürchtete, war es das, was er selber von sich dachte?
Sah man sich nur kritisch und suchte ununterbrochen Beweise für den Grund eines Zusammenseins oder Beweise dagegen?
Aber war es nicht eigentlich ganz anders gewesen? Er hatte gedacht und gefühlt, dass er mit ihr Zeit verbringen wollte, ja Zeit teilen, dass er in ihrer Nähe glücklich war und sie glücklich machen wollte, dass es schön war, unendlich tief, zu denken, schön zu wissen, dass sie da war.
Wie hatte er sich gefreut, wenn er nach Hause kam und ihr Auto stand dort parkend! Die Gewissheit, dass es ihr zu Hause war, bei ihm.
Er sah sie an, und sie sah zurück, scheu und fast ein bisschen aufgeregt, als spüre sie seine Gedanken.

Sie hatte etwas passendes gefunden, ließ sich noch Kopfhörer zeigen, kam zu ihm und meinte: „Findest du diese auch gut?“, er nickte. „Ich muss noch eine Etage höher, etwas für meine Schwester anprobieren.“
Er ging mit.
Während sie etwas anprobierte, sprach ihn eine wartende hübsche Frau an und beide kamen ins Gespräch.
Sie sah durch die Kabine. Wie freundlich er war, charmant und amüsant, fast flirtend. Sie hatte ihn lange nicht mehr so gesehen, sie empfand eine gewisse Angst…war es Eifersucht? War es peinlich? Oder war es dies, dass sie plötzlich ans Leben erinnerte?
Sie zog sich wieder um, und blieb kurz sitzen. War es anders gewesen, bevor sie mit ihm zusammen war?
Sie dachte an ihn.
Er hatte sie nicht aus ihrer Einsamkeit holen können, doch schon, natürlich die Anwesenheit, dass er sich ihr zugehörig erklärt hatte, zu ihr halten wollte, sich zu ihr bekannte. Sie konnte ihn auch als Schutzschild vor sich halten. Lästige Termine wegen ihm umgehen, ihn als Wahrzeichen für Anerkennungsgründe benutzen, als Rechtfertigungen oder auch Entschuldigungen für Schwächen und Fehler, wie etwa: „Mein Mann will das nicht,… Sie wissen doch mein Mann, da muss ich aber mit meinem Mann reden,“…Nein, sie meinte dies, dass man sich als Mensch allein empfindet, war ihr immer mehr fühlbar. Die Möglichkeit der Fremde zwischen ihnen, trotz aller Nähe, war ihr zunehmend oft bewusst.
Die Probleme waren letztlich gleich geblieben.
Sie trat aus der Kabine: Er sprach noch mit der Frau.
Wenn sie ihn da so stehen sah, im Jacket…wenn er ein fremder Mann wäre, hätte sie gedacht, oh, ein interessanter Typ. Aufrechte Schultern, sicher ein starker Mann, der weiß, wo er hin will.
Jetzt vermisste sie die Sicherheit seiner Entschlüsse.
Sie wußte um das Suchende, Stolpernde in ihm. Wollte sie ihn denn auch tragen?
Viel Hoffnung, die sie in ihn gelegt hatte war verbraucht. Was war übrig geblieben?
Geht es in einer Beziehung also noch um etwas ganz anderes, als seine Träume umzusetzen, als seine Pläne zu leben?
Auch man selbst weiß ja nicht, was man ist. Man wird es, man möchte auf bestimmte Weise sein, ja auch sich selbst gefallen in seinen Aufgaben.
Manchmal machte der andere es einem kaputt, weil er etwas nicht übersah, oder sich so verhielt, dass man aus seiner heilen Rolle fallen musste.
Man erkennt sich in den Spuren der Zeit.
Sie wunderte sich selbst über ihre Gedanken und fühlte sich fast hilflos, als sie nun zu ihm ging.
„Okay, ich bin fertig,“ Noch bevor sie etwas hinzufügen konnte, sagte er, „Lass uns gegenüber was kleines Essen.“ Sie nickte und beide fuhren schweigend die Rolltreppe hinunter.

Es war kalt draußen, man krampfte sich sofort im Mantel zusammen. Die Lichter gingen an, überall war Weihnachtsschmuck.
Sie gingen über die Straße in ein kleines Bistro.
Ein Tisch am Fenster war frei. Sie setzten sich. Schwiegen. Ein trauriges Paar?
Der Kellner kam. Sie bestellten sich beide ein Baguette und ein Wasser.
Auf jeden Fall den Kopf klar behalten.
Sie würden sich gleich verabschieden. Das war es gewesen. Und es war gut, dass sie diese Szene so undramatisch hinbekommen würden, so nüchtern, so unter Erwachsenen.
Ihr schnürte es den Hals zu. Sie räusperte sich bewusst nicht, sie ahnte damit etwas auszulösen von dem sie nicht wusste was, was sie aber jetzt auf keinen Fall wollte.
Er hatte Angst in einen Zorn zu kippen, musste sich aber eingestehen, dass dieser aus seiner Angst zu versagen kam. Und er war doch auch froh, dass es auf diese Weise zu Ende ging. Undramatisch und ohne Ausbruch. Hoffentlich konnte er das.
Er fühlte, dass es nicht ehrlich war.
Er hatte große Gefühle gehabt. Es war schlimm! Entsetzlich schlimm…
„Ich gehe mal kurz zur Toilette,“ sagte sie.
Er schaute ihr nach, wie sie durch den Raum lief und dann die Treppe hinunter verschwand.
Ihre Unsicherheit hatte er nie ertragen. Ihre Probleme nicht ansehen können.
Ich kann sie nicht trösten, konnte es nie. Nur am Anfang, als ich es süß fand und mich stark fühlte, als Retter und so.
Später fühlte ich mich sofort auf irgendeine Weise angegriffen von ihren Fehlern, als wären sie einzig dazu da mich anzuklagen, zu entlarven. Er hatte es versucht, das Beste aus ihr hervorzuholen, er hatte ihr etwas geben wollen.
Er sah zum Fenster hinaus, sah auf den leeren Stuhl ihm gegenüber, ihr Schal lag auf dem Tisch und die Einkaufstaschen standen auf dem Stuhl neben ihr. Der kleine Koffer, auf der anderen Seite ihres Stuhles…wo wollte sie wohl hin? Was hatte sie vor?
Er traute sich nicht zu fragen, und es ging ihn ja auch gar nichts an. Sie war ein freier Mensch. Und er auch. Es war eine berechtigte Entscheidung etwas vor zu haben, zu gehen…
Auf einmal wußte er, dass er liebte. Dass er sie liebte.
Dass war ein unglaublich ganzes Gefühl, heiles Gefühl, lebendes Gefühl, auch ein In-sich-sein.
Er wünschte allen Menschen diesen Zustand.
Er wünschte auch ihr, dass sie liebte. Diesen Zustand.
Er sah den Koffer, vielleicht ja auch nicht ihn. Vielleicht würden sie es zusammen schaffen, vielleicht auch nicht. Er liebte und das war gut.
Er wollte nicht nur einfach bei ihr bleiben, weil sie da war, das war zu wenig. Zu wenig für ihn und auch für sie, nicht weil es Gewohnheit war, oder weil er vor allem nur nicht allein sein wollte oder konnte, denn dann wollte er es nicht leben, es wäre doch auch nicht fair.
Wenn es nicht mehr war, würde er nicht bleiben, nicht aus Bequemlichkeit.
Sie waren fähig für eine Beziehung und es war es wert, das zu leben.
Wenn es schon kaputt gegangen war, war es zu spät, dann sollten sie sich freigeben. Frei geben.

Sie blieb zögernd unten im Waschraum stehen, sah sich im großen Spiegel, wie eine Fremde.
Was war es, was wollte sie, wohin?
Sie ging langsam die Treppe hinauf, wusste nicht, ob sie mit dem, was jetzt auf sie zu kam je fertig werden würde…
Aber sie ließ es zu, ging einfach darauf zu…
Sie sah ihn dort sitzen, zum Fenster hinausschauen.
Wenn man sich wieder betrachtete, wie einen Fremden, nicht wie das Gewohnte: der ist bei mir, er hat es versprochen, muss bei mir sein, mein Besitz, meine Anschaffung, unsere Abmachung, für ihn hab ich soviel geopfert. Wenn man plötzlich das alles los ließ und schaute, war man nach all den Jahren plötzlich aufgeregt.
Sie fühlte sich jung und ging fast lächelnd zum Tisch.
Er stand auf, „Ich verschwinde auch mal schnell bevor das Essen kommt.“
Sie erinnerte sich, wie sie zuhause saß, auf seinen ersten Anruf wartete, nicht wußte, wie schnell oder langsam sie den Hörer abnehmen sollte, wie sie die Worte hin und her überlegt hatte, die sie antworten wollte. Und dann hatte sie nur ja gesagt und aufgelegt und gedacht ihr Herz zerspränge.
Die Zeit, die man mit Suchen nach einander verbringt, hat etwas Rührendes, Heiliges, zu tiefst Menschliches.
Sie strich durch ihre Haare, war auf einmal aufgeregt, holte den Lippenstift aus ihrer Tasche und zog ihre Lippen eilig nach – nicht dass er sie dabei erwischte – tupfte die Lippen mit einem Taschentuch wieder ab, es sollte nicht auffallen. Und doch fragte sie sich innerlich nervös, ob sie ihm so gefiele, ob sie gut aussah…er…fand er ihr Kleid schön?
Sie sah ihn kommen und war aufgeregt. Es war wieder da dieses Kribbeln, wie Verliebtsein. Vor dem Wunder stehen, dass zwei Menschen sich offensichtlich anzogen aus geheimnisvollem Grund, die es wagen wollen, das Suchen und sich Finden lassen nacheinander nicht aufzugeben.
Lächelte er? Oder hatte sie nur das Gefühl.
Sie sah schüchtern auf ihr Wasserglas. Er setzte sich. Er sah sie an, erkannte sie plötzlich.
Er sah sie, wie sie jetzt da war, ohne etwas beziehen zu müssen auf sich. Er sah sie, ihm gegenüber, gestresst. Ein Mensch in Verwicklungen, der versuchte,… er sah sie so, wie sie war.
Er musste lächeln… Er wußte nicht, wie lange er schon nicht mehr so gelächelt hatte.
Der Kellner brachte die beiden Baguettes – ihm fiel ein Stück Baguette herunter. Sie musste lachen. Er auch. Beide lachten.
Er nahm ihre Hand, sie ließ es geschehen, neigte ihren Kopf an seine Hand schmiegte sich an. Er nahm ihr Gesicht und küsste sie, sie lachten ein bisschen, hatten leuchtende Gesichter.
Sie waren jetzt da, sahen sich an und begegneten sich seit langem wieder.
Sie setzte sich zu ihm auf seine Seite, lehnte sich an. Er umarmte sie, sie sahen hinaus und genossen.

„Wir gehen jetzt nach Haus“…wer hatte es eigentlich gesagt?
Im Bus zurück neckten sie sich darüber. Sie lachten, stiegen aus, weit vor zuhause um zusammen auf ihr Zuhause zu zugehen.
„Das ist Weihnachten“, er legte den Arm fester um sie und hielt sie, ganz fest.
„Wir sollten uns nie wieder so sehr verlieren und stressen lassen unter all den Zwängen“, sagte sie.
„Wir können uns immer wieder suchen“, sagte er.
Sie blieben am Gartentor stehen und sahen die Straße hinunter über die Stadt mit ihren Lichterketten und Weihnachtsbäumen, und wollten dieses Weite, was in ihnen war am liebsten über die ganze Stadt verstreuen.
Wenn es allen so ginge…, alle zünden an Weihnachten Kerzen an, eigentlich schön, dieses gemeinsame an Weihnachten.
Dass es ein bisschen für alle ist, aber nur, wenn alle ein bisschen wenigstens bei sich sind und sich nicht komplett verloren haben.

Sie beschlossen doch die Eltern kommen zu lassen und die Freunde. Sie standen ein wenig später auf, ließen sich ein wenig mehr Zeit beim Frühstück.
Er fragte: „Wie geht es dir?“ …das hatte er seit langem nie mehr mit dieser Offenheit und Tiefe gefragt.
„Ich habe ein wenig Angst“, antwortete sie ehrlich, „mich wieder zu verstricken in allem, mich aufzuregen, es nicht gut genug zu machen.“ „Es ist gut genug. Sie besuchen uns, sie haben es gut mit uns zusammen zu sein“.
Ich bin auch ein wenig scheu, dachte er, ob ich mir alles zutraue. Zutrauen, auch dieses Für-jemand-da-zu-sein in meinem unbeholfenen Innensein, aber…
Er sah sie an und fühlte auf einmal eine Ruhe. Er wußte, dass er sie liebte, das war viel und genug und mehr gibt es nicht, dachte er.
Der Weihnachtsabend wurde sehr schön und wie aus Versehen gelang alles besser.