Blaues Wasser und ein Entschluß

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Blaues Wasser und ein Entschluß

Ist der Himmel oben, ist der Himmel unten oder zwischen beidem?
Auf diesen Fahrten zu jenem Ort, wo ich viele Jahre verbringen sollte, war es immer das Wasser oder war es der Himmel oder eben das zwischen Beidem, dass mich zuerst erfasste?
Der Zug war normal gefahren, durch bekannte oder unbekannte Landstriche, Städte und Wälder. Dann, nach einem Tag oder einer Nacht Fahrt, öffnete sich der Horizont. Langsam näherte sich der Zug dem Gleis, das plötzlich ins Endlose zu gleiten schien. Wenn die Zugtüren hinter einem, krachend ins Schloß fallend die Ankunft bestätigten, stürzte der Blick auf die Schienen, die sich in silbrigen Linien weich in den See verflüchtigten.
Hier malt tiefes Blau Erde und Himmel ins Vorne.
Kaum eingetreten in dieses Land umhüllten mich Schichten, Ebenen von ganz anderem Sein. ich nahm es wahr, als würde ich leibhaftig angezogen mit einer, direkt mit dem innersten kommunizierenden Kleidung, vielleicht sogar Uniform, die nach innen berührte, deren Orden, die das mir Naheste durchglühten. Ihre Berührung war nicht kriegerisch und doch entnahm sie etwas, was vorher war, etwas Klares in dem ich gedacht hatte zu erkennen. Hier wuchs der Traum. Hier brauchst du keinen Zug mehr, hier tragen dich Schienen, aus Silber gebunden, sanft in die ersten gläsernen Wellen. Heben Dich auf, verbrüdern sich mit deinem Puls. Hauchdünner Nebel schmückt deinen Atem hinüber in andere Reiche. Aufgehoben in schwebendem Tanz wirst du vereint mit Himmel und Wasser und mit dem blauen Horizont verwoben. Es ist nur offenes Staunen, und Wahrhaftigkeit.
Hier aussteigen, bedeutet betreten einer anderen Ebene. Ich wollte nie Astronaut werden. und hier,
Hierher war ich geschickt worden. Im Norden, dieser rauhen Landschaft, die dir Antwort gibt, die deine Beschränkungen und Abhängigkeiten spiegelt, hier, wo es gilt sich in den Wind zu legen oder gegen ihn anzukämpfen, war ich in den Zug gesetzt worden. Der große Bahnhof mit seinen tiefen, dunklen Gleisen, seinen lauten Ansagen, seinen stählernen Schienen, wo man um das Verlorengehen in der Welt wußte, wo das Fliehen eine praktisch umsetzbare Möglichkeit schien, wenn man nur Kartoffeln schälen konnte, hier hatte ich die stiegen hinauf zu klettern und zu hoffen, was ich mir nicht zutraute. Hier hatte ich geschaut über die weiten Wiesen gerahmt von kleinen Wäldern, hatte die weite Ebene der Heide vorbeiziehen sehen bis die Nacht das Land verschluckte und nur  noch Lichter der Städte aufblitzten. Geruckelt vom regelmäßigen Rhythmus des Zuges fühlte ich ein Frei-sein. In jenem Dazwischen, zwischen hier und dort, ein Horizont, auf dem ich empfand, zwischen aufliegen und hinabstürzen sich halten. Dort im Norden, wo Linien gerade sind und Felsen ruppig und der Sturm weiß, was er will, dort war ich die, die ich kannte.
Nun hier ausgestiegen, ankommen war es nicht, denn ich verlor mich in dieser lieblichen Idylle, sogar der Zug löste seine feste, harte Struktur auf. In impressionistischen Farben zerfallend hebt er sich  nur dunkel verwittert vom hellen, lichten Wasser ab.
Nun lag ich hier, wie ein herbeigeflatterter Brief, leise auf den Schienen. Sie enden nicht im See, nein, sie enden im saftigen Grün des hohen Grases dieser üppigen Weiden. Ein Wind wird mich packen und ich fliege weiter, berührt, gefasst, verweht, ein anderes Wesen, dem Wasser zu. Die feuchte Luft umkrallte mich. Dick und dicht umschlossen von einer Art Astronautenanzug fühlte ich eine Kühle, die Freiheit zu versprechen log. Als ich wagte die Augen zu öffnen, hoffte ich Alltag zu sehen und die kantigen Teile der Lokomotive, die abgetretenen kalten Steine des gleichgültigen Gleises. Meine Augen ließen ab von meinem Koffer, ich hatte ihn angestarrt, ein letztes Mal Halt suchend und Identität. Vorsichtig hob ich meinen Blick wieder, um über das Grün des ungleichmäßig gewachsenen Grases zu schauen. Ich ließ die Augen über die ungleichmäßigen Hügel, die sich wie Decken über das Land zogen, gleiten, weiter über das erblühte Tal bis sie mit Tränen gefüllt Augen den See fanden. Meine Augen sind sicher weiß und durchsichtig geworden, dachte ich, denn das Blau der Iris war zu allen Blaus gegangen, sich wieder zu verbünden. Hatte der Nebel größere Tropfen gespritzt, fragte ich mich, weinen würde ich doch nicht. Ich zitterte ein wenig und wenn schon nach der langen Reise, das ruckeln des Zuges, ich hatte es kurzzeitig mitgenommen, wie Kinder ein Stofftier, eben Vertrautes, vielleicht würde es mir bleiben.
Hier, also, ich fasste nach dem Koffer und ging den Bahnsteig hinab.
Ich sollte ein Taxi nehmen. Nachdem es die elegant, tiefblau aufstrahlende Uferstrasse passiert hatte, schlängelte es sich schweigend zwischen knorrigen Obstbäumen, den Hügel hinauf. Der Nebel lichtete sich, kleine Sonnenstrahlen puderten die Wangen und weckten den Blick.
Es ist eine Straße, der Himmel ist oben, der See ist unten, dazwischen bist du, es hat seine Ordnung .
Und doch, der Himmel lag auf dem See. Dazwischen vielleicht ich.
Erst später am vormittag, als die Berge auftauchten, wußte man wieder. Berge können nicht auf ihrer Spitze stehen. Wie seltsam die Vorstellung, kopfstehende Pyramiden, sie wären offen zu empfangen, dachte ich, aber jederzeit bedroht umzustürzen. Berge können nicht auf ihrem Gipfel stehen und ihren Grund, ihr Tal in den Himmel drücken. Also der See ist unten, der Himmel ist oben, ich werde meine Füße nach den Bergen richten und nach den knorrigen Apfelbäumen. Jederzeit könnte ein Pferd zwischen den Bäumen hindurch galoppieren, Zäune gab es hier nicht, alles war hier ein lebendes, impressionistisches Bild.
Die Wolken passten sich dem aufkommenden Wind an, der alles von der Haut nahmund die Haare flattern ließ. Er wollte das Versprechen frei zu sein halten. Stellte ich mich ihm in die Bahn
so war ich getragen, fiel nach vorne in seine geöffneten Arme, die das Stehen leicht machten.
Ich werde stehen und gehen und jeden Tag, Ich werde hier an deinem Ufer sein, blaues Wasser……………