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Beirut Teil 2
Dies ist der zweite Teil der Gedichte zu den Fotos von von Robert Frank über Beirut im Bildband „Come again „.
Beirut
„Rachmene, rachmene“,
wie hör ich ihre Stimme, die verbinden will. Sie trägt in sich endlose Weite der Wüsten, den Sand, die aufsteigende Hitze des Südens, so wie die staubleere Luft des Nordens klarer Klassik. Morgen und Abendland verbinden, das Gemeinsame finden, die gemeinsame Verbindung leben machen in Musik, durch Musik. Hier ist sie geboren, an der östlichsten Spitze des Mittelmeeres.
Beirut,
wieder trifft es diese Stadt und wieder, wieder liegt diese Stadt in Schutt und Asche. Ausgehöhlte Zukunft staubt durch Straßen, die nicht mehr tragen, nicht führen, nicht orientieren.
Kommt orientieren auch von Orient? (fragt er sich) hier treffen sich die Götter, Religionen auf kleiner Fläche, hier endet das Mittelmeer. Und wieder zeigt uns dieser Ort das Verderben. Allein durch Nachlässigkeit, durch Apathie, durch Gleichgültigkeit haben wir diese Zerstörung erschaffen. Hier wo jeder sechste ein Flüchtling ist, hier wo die Strände Bilder von menschenverachtendem Hass tragen und der von Überlebenswillen getränkte Aufschrei über das Meer schallt. Verzweifeltes Dasein wirft sich in unbekannte, todbringende Gefahren, um den mordenden Misshandlungen zu entfliehen.
Hier weiß das Meer, dass wir vergessen haben, das wir den Wert menschlichen Lebens längst vergessen haben. Auch der Himmel ist leer, kein Erbarmen, der Geldgott treibt sie alle ins Meer und die Wasser öffnen sich nicht. Wofür teilen, ihnen Wege schaffen, wenn sie nicht teilen, wenn sie nicht wissen, die Arme auszubreiten, ohne gekreuzigt zu sein. So klagen die Wellen, wenn sie ans Ufer schlagen. Müssen wir Verlorenheit wirklich am eigenen Leibe erleben, um sie zu fassen? Wissen wir es denn nicht von einander, einfach weil wir Menschen sind?
Etwas, dass wir liegen gelassen hatten in den Tiefen der Erde, in den Tiefen des Bewusstseins bricht aus und beraubt uns allen Schutzes, stiehlt uns unser Leben. Sinnentleerte Fenster rahmen allenfalls ohne besänftigendes Glas. Keine Träne zieht Spuren, fortgefallen in leeren Raum an Trümmern vorbei gestürzt. Masten werden zur Marterpfälen, die zerrupft wahllos in den Himmel ragen.
Kein Boot, kein Haus, kein Kind. Aufgerissener Boden wählt und wertet nicht, er fasst Leiber. Wieder ist diese Stadt zerstört. Würde sie doch zum Mahnmal, uns zu wecken. Orient, Sonnenaufgang, müßten wir nicht hier beginnen? Mahnmal uns Menschen, könnte es nicht uns spiegelnd zeigen,
was ist, ein Mahnmal: öffne Augen und Mund beizeiten.
Mahnmal auch unserem persönlichen Sein, wie oft sehen wir hinweg, haben nicht gesehen nicht gewußt, wollten nicht wissen, verschwanden wir. Bloß nicht sehen, die damit verbundene Frage ertragen wir nicht und Antwort wollen wir nicht verantworten. Wir gingen zwischen den Seilen und taten so, als wäre es schwerer, als sich auf das Seil zu wagen. Verschwinden in einer Masse, dann hätte es niemand und jeder sein können. Auf dem Seil kann nur der Einzelne laufen.
Ist es möglich, Zerstörung zu verstehen, ohne sie selbst erlebt zu haben?
Vielleicht ist dort der Morgen einer neuen Zeit. Wäre es genau gut, hier zu beginnen?
Hier zu beginnen, Hoffnung hinein zu bringen, ein neues Menschenbild zu bauen?
Würden wir nicht zu unserem Freund eilen ihm zu helfen, wenn sein Haus brennt? Mir scheint, inzwischen nicht mehr. Aber wenn wir es tun, befinden wir uns in einer anderen Welt. Das Versteckt in den Massen geborgen, zwischen den Seilen zu laufen, die uns zu Ketten geworden, und die weitreichende gravierende Folgen haben.
Wählen wir doch, bevor Wolken bersten und uns alle Fenster nehmen!
„Erbarme Dich „Bach Matthäus Passion
„Rachmene“ Fadia el-Hage
Karina Finkena
2. Teil Beirut
39 Leere Kanten
40 Ein Schiff
41 nichts weint
42 der Riss
43 Stuffen
44 Blumen wachsen
45 ein Auf ist gefragt
46 weiße Balken
47 Wenn
48 Licht verhallt
49 Und
50 wenn Narben aufgewühlt
Leere Kanten
Dort ein runder Bogen
als gäbe es Richtungen und viele Wege
Brücke die am Boden liegt
das Hinüber
das es nicht mehr gibt
dort wo leere Kanten sind
erbrochenes Leben
nach innen erstickt
zu früh fort geschluckt
ragen verkohlte Schreie
in Himmel
die endlos sind
Dort wo leere Kanten ragen
malen Fassaden mit Dunkelheit
gestürzte Sichel
brach an Erde geklammert
gebliebener Bogen
der einst Rhythmus gebracht
Dort wo leere Kanten ragen
schreitet drohend Macht
die opfert
Rund die Kurve
als könnte Wendung sein
als ob noch Richtung sei
und es viele Wege gäbe
dort wo leere Kanten
Särge sind
Ein Schiff
Ein Schiff
auf trockenem Land
die Fenster gehen nach innen
in eine Leere
um Wasser ringend
oder Luft
beides ist verloren
innehalten
erstarren
Gerüst werden
sinnentleertes Bauwerk
entöltes Gefäss
alles Sinnfüllende
ist entwichen
hinausgekrochen
verloren gegangen
wären wir doch Zauber
Vorrat und Gesang
wären wir Schiff
einer anderen Welt
in der das Entleerte
Lebensverlorene
die bedingende Materie ist
was befördert diese Schiffe
und wohin
zu welchen Welten
aus welcher Welt
eine Zeit
die nicht mal Geister kennt
die ein Mahnmal
in uns brennt
ach wenn das Leben nur käme
Vielleicht hat alles
nichts zu bedeuten
auch das Leben
das fortging
heraus gebrochenes Pflaster
bezeugen
gerissen
aus Ordnung und Sinn
still
verhärtete Verbrennung
innegehalten
ohne Wertung zu setzen
sie benutzt und begangen
von etwas von irgendwem
wer hätte sie schon gefragt
und ihre Schwere
war nicht stark genug
sich zu entziehen
Mahnmal sein
auf unbefahrener Strasse
im Weg verloren
getrennt von dem
der mit bezeugt
sind sie nur das Schwarz
gefallen aus den Fenstern
der Schatten
der unter allen Balkonen lag
steht nun auf den Strassen
verwischte Wahrnehmung
der Blick aufgehalten
von schleierndem Dunkel
nicht zu fassen
sind sie
verhärteter Teil davon
scharfkantiger Splitter darinnen
Wirklichkeit
aus dem Bild gefallen
alles was lebendig ist
eine Strasse
durch leere Trümmer belebter Zeiten
warum
konnten wir das Leben nicht lieben
verlassene Steine
von Schatten und Nacht
auf einer grossen Strasse
warum nur
wer weiss wohin
ach wenn das Leben nur käme
wenn das Leben nur käme
nichts weint
wenn die Stadt tränenlos
steht
die Wege
zu still geworden
ohne Schritte
im Wissen
niemand
wird sie mehr gehen
das Licht des Horizontes
zu fern
sie glauben nicht
man könnte
das Lieben verlieren
sie glauben
man müsste
dies und das
hassen und wüten
trauern und brechen
aber in Wirklichkeit
hat man verloren zu lieben
verloren zu lieben
ein Tod
Es ist still geworden
man sieht die Häuser die Fassaden
Fenster auch und Wind darinnen
aber man ist nie ganz da
nie mehr ganz dabei
nichts weint
Ruinen bestehen schweigend
das Lieben ist fort gegangen
nur am Horizont
hinaufgeschmolzene Schienen
als riefen sie Hoffnung
von allen Himmeln
diese verlassene Leiter bleibt
will aufwinden und verbinden
birgt in Erinnerung tragend ein weiter
das lebendige liebevolle
dort hinter dem Horizont
Leitersprossen,
die immer neue Fenster künden
durch die ein Kindergesicht spricht
wenn es weinen könnte
würde das Fliessen
vielleicht eines Tages
das Lieben wiederbringen
Der Riss
wenn du
hinter dem Riss
vielleicht wärest
ich
verschöbe die Welten
die Zeiten die Nacht
wenn du nur
in dem Riss
wärest ich riebe darüber
er risse dann auf
und wärest du dann dahinter
den Tag kann ich nicht zerreißen
darum vielleicht seh’ ich dich nicht
die Nacht über meine Augen bricht
dann seh’ ich Dich
seh’ich dich dann
das Papier das Bild der Film
Briefe Worte und Schrift
und der Riss
erinnernd
dass doch alles gut
alles gut du da
sicherlich du da
und bei mir bist
verborgen
vielleicht unter dem Riss
er schluckt die Tränen
als wären sie sein
doch erweicht er sich nicht
wenn du nur
hinter den Bildern wärest
kämest durch Papier
streiftest Grenzen ab
wie einen Überzug
wenn du aufflögest
aus lauter Darunter
veränderte Flächen fielen
wie Blätter von Bäumen
in unser Gestern
wenn du nur
oder
stehst du dort oben
an der Balustrade
schon seid langer Zeit
bewegst dich nicht
mich leer
von Ferne betrachtend
und siehst mich nicht
ich bin hier
in Schwärze gesunken
einen Riss gibt es aber
in ihren Sümpfen nicht
still hoffend auf dem Tisch
das Foto
von Sehnsüchten verschoben
die Ränder
in andere Ebenen geneigt
doch in dessen Mitten
der Riss
und du
du doch bitte darin
Stufen
Es waren Treppen
zwei Stufen
und die Dritte im Ansatz
sie wäre ja hinausgewachsen
aus dem Rahmen
gingen wir hinauf
aus Dunkel
vieler Vergangenheiten
waren sie gebaut
in Schatten gehüllt
und verborgen
zwei Häuser
jeder hatte eines gebaut
natürlich bei sich gehabt
sie berührten sich nicht
mit ihren leeren Fenstern
Schienen
zu einander
zerfallen
das Licht haltend
im kaputten Gemäuer
zu viele Fenster voll Dunkel
sie Mahnen
oder sind sie nur Zeichen und Gerüst
Muster zwischen dem Himmel
und der
von Stufen sprechenden
Nacht
Blumen wachsen
Blumen wachsen
durch Ruinen
über die Trümmer
ich konnten sie noch nicht geniessen
ich kann es nicht
die Trauer
ist aus den Steinen fortgelaufen
die Steinruinen
die jetzt schlicht Mauern
Gewölbe und Kunstwerk sind
in mich ist sie hineingekrochen
und macht sich breit
als sollte ich sie abweisen
ich schiebe meinen Karren
mitten hinein
und wage den Weg
durch sie hindurch
an ihr entlang
einem Ungewissen
einem
-was ich mir nicht vor zu stellen weiss –
zu
ein Auf ist gefragt
ein Auf ist gefragt
die Türme zu verlassen
die Wegweisung predigen
die Stätten die vertraut
die Gemeinschaft versprachen
leere Fenster
von abschiedsgetränktem Dunkel
aus verlassenen Hallen
ein Auf ist gefragt
wenn auch die Tränen wie Blei
Löcher in den Weg vor uns werfen
Rinnen ziehen
die wir nicht zu leben hofften
ein Auf ist gefragt
wenn die Gleise
auch nur noch Bruchstücke
Ziel und Fahrt erahnen lassen
eine Ankunft irgendwohin verschweigen
ein Auf ist gefragt
den kleinen Karren schieben
weiter und weiter
Mut war auch darin
dem eigenen verletzten Leben
Paradies versprechen
Hoffnung und Sinn
und ein Morgen
über dem Meer
Weiße Balken
Weiße Balken
habe ich geklebt
Pflaster auf Wunden
anderes kann ich nicht
es muß doch heilen
heilen denn ich bin
ich habe nur diese
vier Klebestreifen
Verletzung übermächtig
stiehlt den Raum
und rafft dahin
Türen vorgegaukelt
in ein Nichts
mehr verkleben
verdrängen
ganz erblinden
aber mehr verkleben
kann ich nicht
weiße Balken
müssen halten
Zeugnis tragen
eines Stückchens
gewesen
ist Leben
Wenn
Wenn der Tag
wieder kommt
und das Licht
Flügel baut
wenn die Hoffnung einzieht
und Ruinen
zu Erde werden
aus der Blumen wachsen
Blätter aus Zweigen schauen
und man darein wieder vertrauen fasst
wenn man eingezogener Nacht dankt
um ihren kühlen Schatten
und wagt die Zeit ziehen zu lassen
wagt im Zerfallen zu fliegen
sich zu verankern
um neu zu erblühen
wenn man wagt
Tag und Nacht
wie Schachteln zu nehmen
in die man sein Leben gibt
wie Schmuck
verwandelt sich Karosserie
alles Fahren ist ein Aufstreben
ist sich dem Himmel zu weben
das Grün gibt Vertrauen
und auch Verzeihen
legt sich bergend
über Wunden
begnadigt die Versagenden
als riefe es sie fort
zu neuem Wagen
noch einmal
es tagt
es muss
nicht wieder versagen
das Schöne das Liebende
dass in allem liegt
ist nicht zerstörbar
es durchflutet
die fallenden Gemäuer
das Liegende
dass in allem liegt
gibt auch die Umnachtung frei
und bleibt
Licht verhallt
Steine zerbrechen
Mauern zerfallen
ich wäre heim gegangen
Fenster hängen ihre Dunkelheit
in eine fremde Weite
gefallen
schiebt sich ein vergangenes Haus
mitten zwischen den Zusammenhalt
inhaltleeres Gebäude
und so zart die Leiter hinauf
als wäre es Spiel als wäre es Freiheit
und kindliche Lust
Lebensfreude
dich gab es
ich wäre Heim gegangen
hätte ich den Boden noch geahnt
das zerfallene Haus schiebt sich dazwischen
als hätte es der Himmel anders geplant
einfach dort in der Waagerechten
wo er gerade nicht steht
warum stürzt alles nicht ein
ich wäre Heim gegangen
nun aufgefordert in ein Weiss
vergessen oder übertüncht
voller Egal
ein weisses Licht
verhallt
und
ich werde aufbrechen
komm wieder
komm wieder
komm wieder