Verästelungen Gedichtzyklus

4 Minutes

Verästelungen

1  Gib dich hin

2   Feinste Verästelung

3  Mit den Zweigen neigen

4  In den Zweigen

 

 

 

 

Gib dich hin

Gib dich hin
die Wipfel der Bäume leuchten
gegen der Wolken schweres Grau
wenn das wendelnde Hinauf winden
verhallt im blätternem Haar
das leichte Knistern von Zweigen
Schnitte kündigt
weisst du um den Sturm der naht
wenn der Himmel tanzt
von roter Glut
und gelbem Licht
wir davor
von Nacht getränkt
schwarze Schatten
haben sich aschend
in uns gebündelt

Bäume stehen
zu Gitterstäben verhärtet
ihr blättriger Schatten
gegen das Licht
das in der Ferne
auf dem Wasser
dunkel glänzt
scharfe Spiegelung
zu Maschendraht gesponnen
versucht sich übermalend
mit kindlicher Blütenfülle
zu tarnen
löst sich umdrehend auf
in Licht fallen
eingeglättet
Risse zeigend
frostige Narben
bettende Falten
dem Fliessen
tiefer Reife Spur
aufgefurchter Graben
der von Tränen weiss
pulsierendes Wunder
Muster Halt zu geben
stützende Zeichen
dem trübem Blick
blinde Äste
die sich durchschlingen
verwobener Filz
Wärme bringen
vertrautes Fallen
die kräftige Struktur lassend
die ringende Welle
weitet weit und weiter hinaus
wir wachsen
unbekannter Grösse zu
empfangendes Bereitsein
für den auflösenden Fall
es werde Licht
der vereinende Sturz
folgenreiche Berührung
voll wacher Stärke
in Verfeinerungen blättern
ein Neigen
in dem verästelten
Verzweigen Bedeutung
zartestes Verstehen finden
bergenden Sinn
gib dich hin
wachse auf
den Bäumen gleich
dem Himmel zu
nach allem höher ringen
in verzaubertem Lichte
singen

gib dich hin
und blühe

 

 

 

In den Zweigen

In den Zweigen
wollt ich ruhen
ich schwing mich fort
verstehe nicht
hör den Wind
der Nähe singt

wenn sie dann sprechen
all die Worte leicht dahin gesagt
sehn ich mich nur fort
mich schmerzen Jahre
als duckten sie mich
trieben mich Äste hinauf
lockten mit blätternen Zielen
schienen Verfehlung
Lügen trunkener Saft
hart verrindet
bitterer Geschmack im Nebel
verlorener Traum
in Verästelungen hingegeben

wo wer wem und was
die Wolke duckt
den Blick den Laut
Frost auf Haut gebrannt
wie Rinde

Sog aus Schönheit
in den ersten Strahlen
immer wieder Morgen
klare Träne perlt
Licht vermählt
zaubert Worte allen

aufheben
die gereifte Frucht
aufnehmen warmgefärbtes
Fallen
raschelt Zeit und Weg
hundertfach blättern
unter eines Baumes Krone
mich
neigen

 

Verästelungen

 

In feinsten Verästelungen
find ich Sinn
es ist mir nah
das Blatt
am dünnsten Ästchen dort
das da springt
in seinen Tanz
der alte Wege
in sich bündelt
fein verwoben
in rhythmischer Reise
führt er lassend
hinüber hinunter hinaus
findet tief
nach innen
im Fallen
wird er fliegen
verdichtet
in Luft und Raum geschliffen
zersplittert
umhüllt gewärmt
und aufgehoben
erblüht der Traum
nach des Sturzes langer Nacht
ein kleinstes Krümmelchen
aufgenommen zu nähren
ein Hinauf
ein immer wieder
Ringen Schwingen
Risse in des Baumes Haut
Muster Zeichen
Worte von Winden erbaut
zieht es in Höhen
Strudel aus Licht
die uns in Himmel reissen

stark ist der Ast
ist Anerkennung
Zuspruch
uns zum Halt
trägt uns
und doch
ein Ruf
fort
bis wir fliegen können
gleich dem Blatt
es gibt sich hin
entbehrt das Grün
flieht in Farben
weitet sich schmückt sich
bis es trocken zerstäubt
deckend sich breitet
im Stamme die Kraft
umhüllend mit Raum
schützende Schatten
Der Baum steht
ist Leuchtturm
still gemalte Vielfalt
die uns ängstigt
da uns sichtbar
der eigene beschränkte Horizont
nur Frage bleibt
sie ist der Reichtum
lehrt uns
unbegrenzte Einzigartigkeit
in der Weite
überströmender Fülle
seiner Lebenskrone
geben wir uns hin
im Tiefsten Sinn
wähnen ihn ganz zu verlieren
werden wir gleich dem Kern
gerade geboren