8. Wir werden es ändern

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Wir werden es ändern.

Wir werden da anfangen, wo es anfängt. Zu wichtigen Zeiten hatte sich die Welt gewandelt, die Welt der Menschen. Es gibt Erleuchtungsdaten, es gibt WeihnachtenNaw-ruz, Jom kippur, Eid-al-Adha, Ashura-Fest, Shivaratri, Vesakh,Ali und Newrouz, Krishna janmashtami, Lailat-al-maulid an-nabi.

Er stand am Fenster, sah auf das verkaufte Kirchen Gebäude. Warum hatte man es entweiht? Warum war nicht die ganze Stadt geweiht? Eben empfangen-genommen als heiliger Lebensraum für den Menschen? Als Teil der Natur, Raum, den sie dem Menschen schenkte oder freigab für seine Weise zu leben. Oder Raum, den der Mensch ihr abgetrotzt, geraubt hat? Er dachte nach, rückte ein paar Bücher gerade. Getrieben von einer Unruhe sehnte er sich nach Mit-gehenden, Mit-verstehenden, Mit-ändernden.  –                                   Greta ist auf die Strasse gegangen für diese große Klimanot, die sie erkennt. Sehr gut, sehr gut. Einstehen genau geradlinig für das, was man erkennt und annehmen und verteidigen muß. Greta wollte ein Wecker, ein Wachrüttler sein und wurde es. Die Not, die jetzt aber in ihm brannte, ließ ihm keine Ruhe. Einen Weg zur Tat zu schreiten, wie Greta es getan hatte, fand er nicht. Immer unklarer wurde ihm, wie sie es geschafft hatte. Er spielte Situationen durch, sah sich verlacht, ungehört, sah sich seinen Weg verlieren. So gab er alle ihm eingefallenen, möglichen Wege auf. Hielt sich still und schrieb von Zeit zu Zeit Gedanken auf. Nachts erwachte er, naß von Tränen oder Schweiß, fühlte die Bedrohung, sah es wie Flammen, die auf ihn zu kamen, seinen Lebensraum zerstörten. „Du beschäftigst dich zuviel mit Umweltsfragen, du nimmst es zu nah, du findest zu wenig Abstand!“ Aber wie konnte man es mit mehr Abstand nehmen? Ihm war es so nah, direkt vor Augen und es war schon in ihm. „Es ist mir näher als nah.“ Er stand auf ging in seinem Zimmer auf und ab. Er konnte nicht umhin den Panther, den Gefangenen in sich selbst zu fühlen. Versuchte ihn heraus zu bekommen mit Sport, hetzte sich nicht um zu laufen, sondern um ihn los zu werden. Von Innen sah er, fühlte er schwarzes Fell unter seiner eigenen Haut, eingezogene Kraft in jedem Muskel gespannt und den Rhythmus dieses vor und zurück, von Gitter zu Gitter, das schaukelnde Hin-und-her des Kopfes, Wellen die sich bäumen würden. Morgens, wenn er zur Arbeit ging liefen seine Augen. „Weinst du?“ sagte er zu sich selbst, als könne er es so besiegen. Sie tränten, die Augen und zogen sein Gesicht lang, schmälerten es. Fort, an einem dieser Morgende sah er seinen Mund reißen. Fühlte aus den tiefsten Tiefen seines Körpers diesen Schrei, den Schrei eines Tigers über weite Ebenen. Die ganze Steppe ist gewarnt, hört den Schrei und erwacht! Und bricht auf. Bricht auf der Geburt einer neuen Welt entgegen. Er war stehen geblieben, hier, sich an einem Baum lehnend, wartete er bis dieser ihn ergreifende, durchflutende Zustand aufhören würde. Er atmete tief, erleichtert, dass nichts seinen Körper verlassen hatte, dass die Straße noch die Straße war und ging zu seiner Arbeit. Der Tiger wird schreien! Wußte er.  Aber was hatte er damit zu tun? Gerührt sah er die Wurzeln am Stamme eines Baumes die Strasse anheben. Es gibt Kraft! Es ist Kraft! Es ist nur die Frage, wie wir diese Kraft annehmen und umsetzen wollen. Die Kirche, an der er vorbei lief, war verkauft. An einen Messias hatten sie geglaubt. Wie konnte es eigentlich sein, dass man sogar eine neue Zeitrechnung angefangen hatte?  Man hatte die Menschen gezählt. Man hatte die Kinder getötet. Man hatte gekreuzigt. Den Menschen gekreuzig. Aber dennoch hatte eine Neue Zeit begonnen. Wie konnte das sein? Würde es heute sein können? Wie überhaupt konnten auch heute mehrere Zeiten nebeneinander leben? Zeiten hatten mit Messiassen  begonnen und Zeiten waren gegen ebensolche Messiasse und erkannten diese nicht an. Irgendwer beginnt aus irgendeinem Grund Zeit anders zu zählen. Politiker, Könige, Diktatoren fügte man in die vorhandene Zeit, Geschichte auch, aber herausgehobene Menschen, Messiasse, die änderten die Zeit, sie gestalteten unsere Jahre und Riten  und Identitäten? Schön wäre es schon, vielleicht, dachte er, wenn einer wüßte, sagte, sähe. Es kann nicht wieder so kommen, wieder so einer wird geboren und spricht und bringt den Weg. Die Frage ist eine andere,-jetzt. „Er schickte seinen Sohn,“  „er wurde geboren, erwählt, erleuchtet“,  so heißt es doch, überall eine geschickte Verkörperung, eingefleischter Geist, eingeleibte Göttlichkeit. „Nein,“ er blieb stehen, sah zu den großen Fenstern hinab, den Jahrhunderte alten, „nein, geschickt werden diesmal nicht?“ „Es ist schon da.“„Es ist schon da? Ich zerfalle an mir selbst, dieser unumgängliche Rhythmus, von was bloß angetrieben? Hallo, alter Junge, wie geht es Dir?“ Ein Kollege klopfte ihm auf die Schulter. „Ah hallo, wie geht es?“ Er sah ihn wie in weiter Ferne oder vielleicht nur einfach nicht scharf.“ Ich gehe zum Arzt mir eine Brille kaufen,“ antwortete er mehr zu sich selbst. „Nicht so nachdenklich Junge. Kommst du heute Abend, wir treffen uns in der Kneipe, mal wieder auf ein Bier?“ „Ja, okay, ich gucke mal.“ „Ja mach das, wär doch cool.“  Sicher er würde hingehen, er kam ja zurecht, er erledigte seine Sachen. Wenn nur die Bilder nicht so laut wären. An der Straßenecke traf er eine Frau, sie ist Lehrerin. Er hatte gehört, dass es ihr nicht so gut ging. Ihm fielen die Sätze ein, die sie letztes Jahr zu ihm gesagt hatte: „so schlafend wird es nicht gehen! Wir müssen dafür bezahlen. Die jungen Menschen werden uns um die Ohren fliegen, und wir haben es verdient. Wenn man schläft, während die Milch überkocht. Und diese Milch wird rot sein!“ Er hatte oft über diese Sätze nachgedacht. Seitdem hatte er sie nicht mehr gesehen. Sie hatte eine Auszeit nehmen müssen. Zu ihren Apellen und Warnungen hatte man nichts gesagt. Sie war zu anstrengend für das Lehrerzimmer. „Jeder zieht hier seinen Job durch, du wirst auch noch verstehen, deine Leidenschaft frißt am Ende nur dich selbst, verbrennt Dich, das spürst du ja selbst.“ Damals, als er sie traf, hatte sie gesagt, „wissen Sie, es kommt mir ganz anders herum vor, ich brenne, aber die anderen sind ausgebrannt und nur Kohle in zweifacher Bedeutung bleibt übrig, kommt dabei heraus, und einsichtig, wie sie sind, streben sie lieber durch und durch nach Kohle und nehmen die verdreckte Seite kommentarlos in Kauf. ER konnte es nicht lassen und sagte klar und deutlich, als ich die Konferenz verließ,: „Wie soll unsere Zukunft werden? Wie stellt ihr euch das vor? Wer soll neue Ideen haben und innovativ sein und kreativ?  Wir sitzen an der Quelle! – Man hatte gesagt, nehmen Sie eine Auszeit, und überdenken Sie, ob das für sie ein machbarer Beruf ist. Machbar. Für mich war damals nicht die Machbarkeit verschwunden, aber jegeliche Form von Lebensfreude. Sie müssen einen Sinn für sich finden, sagte man, aber gerade hatte man mir doch jeglichen Sinn genommen.“ „Wie geht es Ihnen?“  „Danke, ich bin so zu sagen wieder auf dem Damm, arbeite wieder und so.“  „Ich hatte mir damals, als ich mit Ihnen sprach, gedacht, wie gut es für mich gewesen wäre, so eine Lehrerin wie sie gehabt zu haben. Alles was sie sagten, ist mir  present geblieben. Ich staune immer wieder darüber, wie klar und für mich richtig sie die Sachen gesehen haben und gesagt haben.“ Sie sah ihn erstaunt an, als wäre er aus einer anderen Zeit. „Ach ja, die Auszeit,“ sagte sie, „war ja noch schlimmer, es ist, man muß vergnüglich am Strand baden gehen, während Menschen auf Schiffen kentern und untergehen, ertrinken, direkt daneben. Man soll weiter spielen, die Klappe halten, nichts fühlen, seinen eigenen Egoweltraum wahrnehmen und nichts darüber hinaus. Das Leben ist so, was soll man machen… -Auszeit-„. „Hatte auch sein Gutes. Nachher merkte ich, dass mir diese Kuren nichts halfen. Zufällig traf ich eine völlig überarbeitete Heimleiterin eines Altenheimes. Ich beschloß kurzerhand sie zu unterstützen. Dadurch konnte sie dringend anliegende Veränderungen überhaupt erst ins Gespräch bringen und so weiter, sie können es sich denken. Kurz gesagt, ich half ihr, und dadurch sah ich anderes gut werden oder besser, im Sehen wie anderes gut wird, und dass ich dazu beitragen konnte, half mir. Ich bin nicht der Typ, also mir fehlt auch die Kraft für den körperlichen Nahkampf, Ertrinkende im wilden Meer retten und dicke Schiffe durch Stürme führen. Mir wurde klar, mein Meer iat die Schule oder präziser, das was mit jungen Menschen hier passiert, hier wo ich bin, geht mich etwas an. Ich wurde wieder mutig, hoffnungsvoll, kleine Schritte, sehr kleine, aber Schritte und jeden Tag, als eine Möglichkeit nehmen. Ich will nicht schlafen. Anfangs hatten alle mich zur Seite genommen und gewarnt vor erneutem Einknicken. Ich antwortete darauf. Wenn es so sein soll, wie ihr sagt, will ich nicht leben. Ich will anders leben, ich nehme den Preis an. Man belächelt mich, aber man spricht mich nicht an. Meine Schüler sind mir anvertraute Menschen, die eine Chance bekommen sollen, sich einzubringen ins Leben und an der Zukunft zu bauen.“ Sie brach ihr Erzählen ab.  Diese offene Zuneigung hält sie gesund, dachte er und sagte, „ich habe viel nachgedacht, was könnte man tun? Was genau läuft falsch?“ Sie schaute ihn direkt an, „wir leben nicht, wir haben den Tod aus unserem Leben verbannt. Wir spielen und schlafen. Aufwachen wäre gut.“ Er fühlte den Schrei des Tigers über der Ebene ansteigen wie einen Sonnenaufgang oder ein Morgengrauen? „Wissen sie was, ich muß etwas tun. Ich will etwas tun! Ich finde nur den Weg nicht,“ sagte er. „Wir könnten uns mal treffen,“ freute sie sich. Auf einmal hatte sie Farbe im Gesicht. „Sie haben also Hoffnung,“ sagte sie. „Ein Glück, dann haben wir die Tür ja schon. Ich denke dort, wo es noch heil ist, dort am Zugrundeliegendsten muß man beginnen, um dann ins Verfeinerte, weit Kompliziertere zu gehen und zurück zu finden in eine übergreifende Erkenntnis. In allem ist es so, in der Musik, der Kunst, dem Essen …..das Einfache, Sichtbare, Fassbare erkennen, nehmen, verstehen, um dann ins Verfeinerte, Komplizierte, Vielfältige, Abstrakte zu kommen, das aber dann angefüllt ist und verbindend. Der eine Ton ist angefüllt mir dem Werk, und das Werk erkannt an diesem einen Ton. Von Wasser und Mehl zu Brot, zu verfeinerten Torten und wieder zum einem Korn, in dem die Welt, mit der Torte vorhanden ist.“ „Aber,“ sagte er, „wenn man nie, nie ein Orchesterwerk gehört hat, hört man einen Ton nur wie einen simplen Ton, jedenfalls ohne die Welt, die in ihm ist.“  „Vielleicht muß manchmal ein ganzes Werk erst heruntergedonnert werden, bis alle ergriffen werden, damit sie überhaupt erst beginnen den Ton zu sehen, zu achten.“  „Ich muß leider los. Ich könnte gut am Dienstag Abend. Wir könnten uns im Gasthaus zur Linde treffen?“ fragte sie. „Gerne,“ sagte er und war auf einmal sehr beruhigt, geradezu glücklich, mit sich wieder eins. Als er abends wieder zu hause war, fragte er sich, „was ist der Mensch, die Menschheit? Ein Gewebe von Beziehungen, hatte Saint Exupery unter anderem gesagt. Beziehungen. Wer trägt sie? – Sie tragen ihr Kreuz,“ komischer Ausdruck,“ dachte er, „sie tragen Uniform, sie tragen eine Krone, sie tragen Säcke und er trägt ein Kind, sie trägt ein Kind, wie viele so weit entfernte Unterschiede liegen darin. Wir tragen  in dieser Zeit sehr gut und tapfer unsere Uniformen, unsere Konformismen, unser Außenbild und unseren Stand, unser Geld und unser Prestige. Wie schön, dass es Dienstag gibt, dass es das Gasthaus zur Linde gibt, dass es die Straße gibt, und ein Außen. Wie schön, dass es eine Tür gibt, die ich aufmachen kann.Sie verabschiedeten sich und jeder ging in aeiner eigenen Richtung weiter