
7 Er Aufbrechen
Als er vor die Haustür trat, klingelte sein Handy. Der Freund war dran und fragte ihn, ob er nächste Woche Zeit habe, dann könne er ihm das Parteibuch, das er gerade in der Post erhalten habe mal zeigen. Er hatte geantwortet: „ich melde mich später, wenn ich im Büro bin, ich bin heute später, da ich abends noch länger Termine habe. Dort kann ich die nächsten zwei Wochen im großen Kalender besser durch schauen.“ Wieder war es da dieses lästige Gedrücktsein. „Auch noch das Parteibuch sehen, es ist also tatsächlich so.“ sagte er laut. Eines Tages wird es dazu kommen, es sei denn, er gibt es wieder zurück. Ich muß ihm etwas sagen, ich muß ihm sagen, ich werde diese Partei nie wählen können. Man konnte vieles verschieden machen, sicher verschiedene Auffassungen, verschiedene Meinungen. Je mehr Meinungen um so besser, man mußte diskutieren, aus vielen Unterschieden, fügte sich ein Bestes zusammen. Mit sich hadernd lief er die Straße hinunter.
Es war ihm garnicht aufgefallen, die Unterschiede zwischen ihnen, vielleicht ein bißchen hier und dort, aber es hatte keine Auswirkungen gehabt, betraf nicht direkt irgend etwas mit Konsequenzen. Dieser Freund war ihm garnicht auf irgendeine Weise hinterfragenswürdig aufgefallen. Sicher in manchem hatten sie nichts mit einander zu tun. Jeder machte seine Dinge. Zu sich nach Hause lud er ihn nicht gern ein, es kam ihm dann immer irgendwie verkrampft und anstrengend vor. Sie trafen sich ab und zu außerhalb in der Kneipe oder zum Sport. Sie kannten sich halt lange und es gab gemeinsame Schulzeiten und und … Jetzt aber wurde etwas aufgedeckt. Wie überhaupt konnte der Freund denken, dass ER diese Partei gut fände, wie kam er darauf, kannten sie sich doch zu wenig? War er so überzeugt von seiner Idee dort einzutreten, dass er davon ausging, ER müsse natürlicher Weise, das gut finden und gar womöglich selbst eintreten? Oh Scheck. Ja sie hatten alle solche Argumente gehabt auf dem Klassentreffen, fiel ihm jetzt ein, „man hat gearbeitet und man kann nie wissen, und man kann nicht alle, das Wort zuviel, zuviele, war ständig gefallen. In Anbetracht der Tatsache, dass wir auch nicht….. und dieses, bei aller Liebe und du mußt verstehen, oder besser, das verstehst du doch auch und meine Frau hat Angst und mein Mann holt eine Alarmanlage, sie haben ihn so betrogen, und wir haben uns alles so schwer erarbeitet, jetzt haben wir es wirklich verdient und man kann nicht allen helfen, und dann haben sie viele Kinder, es reicht nicht für alle. Auf dem Treffen hatte ER scheinbar alle überhört, wollte nicht in Aufregung geraten, wollte die Situation nicht eskalieren, nicht dort. Und, ja, einmal fiel ihm jetzt ein, hatte er es nicht stehenlassen können, was Eva über die herkommenden Menschen gesagt hatte. ER erzählte, dass er sehr glücklich sei mit dem einstmals geflohenen Menschen, der nun beim ihm arbeite. ER scheute sich Flüchtlinge zu sagen, das klang wie etwas zu erforschendes, wie Engerlinge, wie etwas für das man kein Gefühl braucht, er konnte dies Wort nicht benutzen. Sind wir hier Geduldet-linge, Sesshaft-linge, Darfbleib-linge, Imrecht-linge? Ein Ekeln umspielte seine Lippen. Die Not, das Leid, das diese Menschen gemeistert hatten, steht in keinem Verhältnis zu unserem Reden und Tun. Mir hatte sie geantwortet,: Ausnahmen bestätigen die Regel. Und Werner hatte gemeint, Gute und Fähige gibt es überall, dann kam das Aber, und das Da-hast-du-aber-Schwein-gehabt … und kann er denn unsere Sprache? ER hatte nur genickt und war abgedriftet, hatte sich verhakt in dem, was er antworten sollte. Unsere Sprache, dachte er als wäre sie unser besitz und wie gebe ja immerhin schon un sehe Sprache ab, teilen sie sozusagen großzügig. Sprache ist ein so großes Feld, mit „Guten Tag,“ ist es nicht gesagt. Wie wir das Gesprochene verstehen kommt ja auch noch hinzu. Wir sprechen ja auch mit Gesten und Mimik. Er erinnerte sich genau, dass er jenen Mitarbeiter am Anfang sogar besser verstanden hatte, als dieser noch mit ihm fremden unverständlichen Worten sprach. Sie hatten sich angeschaut, hatten verstanden, was die Augen des anderen sagten, hatten sogar nach einiger Zeit gelacht, wenn der andere die Gesten falsch über tragen hatte und statt einem Buch ein dickes Schneidebrett brachte. Als der ihm die Hand zum Arbeitsvertrag gab, hatte er in diesem Händedruck mehr verstanden, als gesprochenen Worte hätten sagen können. Diese zu verknöcherte, zu rauhe, zörgerndhoffende, ängstlich ausharrende Hand, die sich bemühte sich nicht zu schnell zurückzuziehen um nicht unhöflich zu wirken, hatte die Augen gesehen, die einst über eine zerstörte Stadt geblickt hatten. Er sah es als wäre es in seine Augen hinüber geglitten. ER hatte seine Hand schnell geöffnet, diese nähe war ihm unbehaglich, er fürchtete sich vor der Erkenntnis nicht genug machen zu können, vor dem Ausmaß des Durchlittenem, er fürchtete nicht gewachsen zu sein und ahnte eine Unehrlichkeit in sich selbst und vielleicht auch eine Schuld dass alles so weit hat kommen können. „Kennt er unsere Sprache?“ Was für eine Frage, ein Sprache kann man lernen, aber alles andere, die Wunden, die Narben, die Nerven? Und das Heimweh?
Warum hatte ER nicht zu Hause nachgedacht, naja schon, ER hatte sich gefragt, was mit einigen wäre und ob ihr Leben zu glatt verlaufen war, und klar hat man Angst, wenn man bis jetzt alles kontrollieren konnte und für alles versichert war, wenn man ein Haus hat, besitzt, wenn alles immer in geregelten Bahnen läuft. Damit hatte er es abgetan, aber jetzt war es nah gekommen. Ihm vielen mehr und mehr Situationen ein, wo er etwas hätte sagen können, er hatte sich gerade noch vor sich selbst heraus geredet, „ach laß, vielleicht ist er betrunken, vielleicht ist sie verrückt, vielleicht hab ich mich verhört, was auch soll ich machen, ich hab meine eigene Welt zu regeln, ich kann nicht.“ Ihm war auf gefallen, dass er immer häufiger in solche Situationen kam. Ein Paar lief recht nah auf dem Bürgersteig. „Wenn sie schon so schlechtes denken, was schlimm ist,“ sagte eine Passantin zu ihrem Mann, „so kann es doch nicht sein, dass sie es jetzt laut aussprechen. Das zeigt doch, dass es normal geworden ist.“ Hör dir mal den Bundestag an!“ antwortete der Mann. Dann waren sie an ihm vorbei. Es gibt keine andere Möglichkeit, entweder der Freund tritt wieder aus und tritt woanders ein, dann wäre es das gewesen, auf jeden Fall kann ich nicht mit. Und dann? Er würde jetzt einen anderen Weg einschlagen, nein, nicht jetzt, er war schon immer auf einem anderen Weg, entweder sein Freund würde mit ihm gehen oder,- er dachte nicht weiter noch nicht. Eigentlich hatte er ihn über die Jahre lieb gewonnen, ja man konnte schon Freundschaft sagen, die gemeinsamen Erinnerungen, die gemeinsamen Bekannten, der viele Spass. Nie war etwas passiert, dass sie ihre Wege hätten verdeutlichen müssen, es war so dahin geplätschert, bequem und vergnügt. Es hatte ja auch keinen Grund gegeben, warum hätte man zweifeln sollen. Plötzlich fielen ihm Situationen ein, über die er einfach hinweg geschaut hatte, manchmal hatte er erklärend gesagt, der meint das nicht so, den das kannst du nicht ernst nehmen. Stimmt mit seiner Freundin damals hatte es Ärger gegeben, die waren manchmal aneinander geraten und auch er hatte diese mafia-macho-art nicht mehr ertragen, mit der sein Freund sich meinte brüsten zu müssen, nicht mehr ertragen können. Eine Weile hatten sie sich auseinander gelebt. Dann aber, nachdem die Beziehung mit seiner Freundin gescheitert war, hatte sich alles zwischen ihnen beruhigt. Sie verbrachten wieder ganz lustige Abende, wanderten manchmal zusammen, gingen wieder Sport machen, was beider Gesundheit sehr zuträglich ist. Jetzt erahnte er eine harte Trennung und endgültig, so unausweichbar und radikal, dass er es niemals hätte denken können. Dieses Ausmaß, dass sich in seinem Inneren ankündigte, hatte etwas furchtbares. Seine Weltwahrnehmung würde damit auch zerbrechen. Eigentlich ging er gerne mit, gehörte gerne dazu, fühlte sich flexibel, tolerant, kompromissbereit, und friedliebend. Dieses aber machte ein einsetzendes Verhalten nötig, für wen einsetzen ? Für sich, für seine Überzeugungen, für seine Werte. Jetzt stellte sich die Frage, jetzt war er gezwungen sich ab zu grenzen, seine Gemeinschaft aufgeben ja verlassen zu müssen. Wenn der andere sich nicht zum mit ihm mitgehen entschließt und seine momentane Entscheidung total hinterfragt und wirklich umdreht ist es vorbei. Man müßte, würde zwei verschiedene, getrennte, Planeten erkennen. Bis an irgendeine Stelle kann man denken, man sei eine Gemeinschaft, aber irgendwann kommt die Stelle, wo Wahrhaftigkeit plötzlich gefragt wird, meistens von außen durch Politiken und so .. Er blieb abrupt stehen, wie um einen Schritt zu verhindern. Dies war eine solche Stelle. Jetzt. Er hätte es gerne vermieden, wäre ein Leben lang darum herumgekommen. Er holte tief Atem und schritt weit aus. Ein schmerzhafter Schrecken übermannte ihn, als würde dieser schon alles vorwegnehmen, was kommen könnte. Wenn der Schrecken in den Körper einzieht, macht ihm eine neue Kraft Platz. Er könnte lange davon laufen, aber fast immer kippte er geradezu in eine Gier sich sofort zu stellen, jetzt sofort das Schmerzhafte durch ziehen. Er würde brüllen,: das war es! Auf Nimmerwiedersehen. Den Schuss an der Front, der eines Tages vielleicht käme, vorweg nehmen. Er schüttelte den Kopf, suchte im Schrank nach Kaffee, schimpfte auf sich selbst, alles zu ernst zu nehmen, zu schwarz zu sehen. „ Schwarz?“ sagte er, „genau schwarz! Im wahren Sinn des Wortes.“ Er versuchte seinen Tagesplan wieder auf zu nehmen, sah auf die Uhr, er hatte noch Zeit. Nächste Woche würde er ihn treffen, bis dahin würde er sich überlegen, was er sagen würde, wie er es sagen würde, ohne gegen seinen eigenen Weg zu verstoßen, ohne sich selbst zu verleugnen. Er würde sehen, wie der Freund reagierte und je nachdem, wäre es das letzte mal. Er würde sich auch genau überlegen, wie er klar aber bestimmt sagen würde, dass er ein anderes Welt,- Menschen,- und Gesellschaftsbild habe, und dass diese Partei und dieses Menschenbild aus seiner Sicht falsch und verderbend ist,, Dass er damit die Menschenrechte verrate und die Welt , die Menschen in Schuld und Verderben führe.
Er holte sich beruhigt einen Kaffee und ging auf den Domplatz. Sein Freund war ein gewöhnlicher, doch normaler Mann.
Würde er wenigstens saufen, dann könnte er denken es läge daran, aber so, er war einer dieser völlig mittelständischen, normalen, angesehenen Bürger, der wählte, Steuern zahlte eine gute Krankenversicherung hatte und für Brunnen in Afrika spendete. Wenn alle diese Leute, die hier jetzt über den Platz laufen, vielleicht so jetzt dächten wie dieser Freund? Er fröstelte. Und versuchte die in ihm Angst erzeugendenden Gedanke zu verscheuchen. Es kann nicht sein und es darf nicht sein. Wir haben doch auch ganz andere Probleme, sieht das denn kein Mensch, wir müssen doch jetzt zusammenhalten, alle zusammengehen, so schnell wie möglich, bevor die Erde uns leid ist. Recht hat sie. Nein, das ist zu bitter. er hatte sich doch vorgenommen ihrem Vorbild zu folgen, sein Bestes, wie die Pflanzen, dem Leben hinzugeben und zu vermehren, zum Erblühen bringen und seinen Dank zeigen, für Nahrung und Wasser und Lebensraum, den eigenen Atem und das pulsierende Herz. Wo waren alle nun hingekommen? Nichts blühte, riesig türmt sich der kalte Mammon und wir versuchen Splitter von ihm zu erhaschen. Er beschloß in den Dom zu gehen, Licht anzünden ist gut, dachte er. Er kannte den Spruch, „es ist besser ein Licht an zu zünden, als über die Dunkelheit zu klagen“. Er zündete eine Kerze an, wurde die düstere Stimmung aber nicht los. Die Kirche, das Geld, wo ging es hin, wofür? Badman alles im Namen des Lichtes getan. Ohne Zweifel und Spiderman und wie sie alle hießen. Er hatte jene Stelle erreicht auf seinem Weg, an der man plötzlich entscheiden und bekennen muß.
Sein Vater hatte viel Gutes gewirkt. Er war auf keiner Seite gewesen, für die man sich schämen mußte, nein, im Gegenteil, manchmal konnte man sogar stolz auf seine Entscheidungen sein. Vielleicht war er manchmal verwirrt, zu jung, überlastet vom Krieg versaut. Trotzdem gab es Dinge, die an seinen Taten zu ehren waren, von denen man lernen konnte, sicher. Er selbst war immer dafür gewesen Traditionen weiter zu geben, sie mußten einen Sinn haben, sie waren nicht grundlos. Der Dom steht auf einem Fundament, dass kann man nicht verleugnen. Das vorher ist wesentlich für das Jetzt und das Nachher. Aber vielleicht müssen wir gerade jetzt unseren Vätern, unseren Müttern und Vorfahren zu liebe, etwas vollkommen Neues tun, die erkrankten Wurzeln ausreißen, die Systeme beseitigen, den Boden pflügen, vielleicht ist es die Chance etwas vollkommen Neues zu pflanzen, zu probieren. Vielleicht hatten sie alles mögliche ausprobiert und versucht und umgesetzt. Jetzt aber war es ausgereizt an ein Ende gekommen. So ginge es nicht weiter, vielleicht brauchte man einen ganz neuen Ansatz. Vielleicht konnte alles nur noch zusammen brechen, musste ausgerissen und zu Dünger zerhäxelt werden. Wenn all die gescheiterten Systeme, Denkmuster und Ausgangstheorien unter die Erde gepflügt würden, gäbe es vielleicht einen fruchtbaren Boden für eine heilende Erde, eine gesündere Lebensweise, eine weiterentfaltete Wahrnehmung. Vielleicht ist es jetzt an uns den Sprung zu wagen und nichts Überlebtes mehr mit zu schleppen, nichts vergangenes zwanghaft am leben zu erhalten, nicht mehr die Verantwortung nach hinten abgeben….…. sondern aufbrechen. Eine Erleichterung löste seine Schultern, eine wärmende Hoffnung schob die Beugung in die sein Kreuz verfallen war ins Aufrechte, Den blick heben, sehen was ist und sich stellen. Könnte ja sein, dass dies hier der Morgen einer neuen Zeitrechnung ist, eine Epoche geht zu Ende und eine neue beginnt. Ein Tag-werden, zeit sich bereit zu machen, zu er- und bekennen, sein leben in die Hand nehmen und die Verantwortung dafür annehmen. „Aufbrechen,“ sagte er vor sich hin. Leichtfüssig lief er die Treppe zu Bahnhof hinab. Gerade weil man seine Väter und Mütter liebt, weil man ihre Geschichten ehrt und achtet, kann man ihnen vielleicht mit der Umsetzung seines eigenen Lebens, eine neue Chance geben, in dem man etwas ganz anderes wählt, in dem man aus ihren Erfahrungen, dass es so nicht in Frieden und Gesundheit funktionieren kann gelernt hat. Diese Erfahrungen ernst nimmt und achtet. Dass man ihnen dafür dankt, dass sie diese gemacht haben, eben auch für die, die nach ihnen kommen. Es ist an uns etwas Neues zu erfinden, umzusetzen und zu versuchen erfindet, vor allem zu wagen. An den kleinen Anfang glauben und dem kleinen Anfang eine Chance geben. Kleinen unbekannten Anfängen gibt man so eine Chance, eben weil man nicht wagt aufzubrechen, nicht wagt zu scheitern, nicht wagt sein eigenes Leben wahrhaft ernst zu nehmen. Sein eigenes Leben dazu zu schenken. Viele Menschen gingen ein und aus, durch die Bahnhofstüren. Seine Augen fühlten sich so geöffnet an. Über die grauen Wände, die grauen Steinplatten huschten lichterfüllte Fleckchen. Deutlich schien er ein ganzes Lebensbild, einen Ausschnitt zu erfassen, in seiner Vielfältigkeit, seiner ständigen Regsamkeit, seinen wieder und wieder kehrenden Hoffnungen. Voller Freude dachte er, das ist es, diesem kleinen Leuchten eine Stimme geben. Diesem kleinen Tropfen an der Scheibe zustimmen, diese Tränchen auf der Wange der Abreisenden anerkennen, die Begrüßungslaute begreifen und deren Recht bezeugen. Aus kleinen Tropfen konnten große Pfützen, Rinnsale, Bäche, Seen, Flüsse, Meere werden. In der Bahnhofshalle holte er sich eine Brezel und entschied, wieder zum Dom hinauf zu gehen. Grau ragten die Türme in den Himmel und stachen angeberisch in die tiefhängenden, ebenfalls grauen Wolken. Dieses Bauwerk hatte er immer bewundert. Immer wieder dachte er daran, wie es über Jahrhunderte hin erbaut wurde, über soviel Leben hinaus. Die ersten Arbeiter hatten ihn niemals in seiner Großartigkeit materialisiert gesehen, auch der Bauplaner nicht. Auch die nicht, die schon sein Fundament erlebt hatten. Acht oder mehr Menschenleben lang war er erbaut worden und wir Neunten, Zehnten sahen ihn und lebten mit ihm in seiner ganzen Größe. Dies war ihm ein sichtbarer Beweis, dass man nichts letztlich wirklich übersehen konnte. Nie wirklich konnte man erfassen an was man baute, daran erinnerte ihn der Dom jedesmal. Welches Sternchen man war in einer großen Idee, die sich vielleicht gerade verwirklichte, konnte man nie genau wissen. Und kein Stein am Bauwerk ist sinnlos, welche wesentliche Rolle man spielt erahnte man vielleicht nicht mal, weiß der untere, tragende Stein, dass er eine riesige Decke mitträgt? Konnte er das Gesamte erkennen? Können es sein, dass man das gesamte niemals erkennt und deshalb sich nichtig und unwichtig fühlt und vielleicht fände man während seines ganzen Lebens nie einen Hinweis, fände für die wesentliche einzigartige Wirkung die man lebt, die man baut, kein Zeichen, keinen Beweis, keine Anerkennung. Heute auf einmal sah der Dom für ihn fast bedrohend aus, dieses Dunkle vor den Himmel, diese wilden Ungeheuer, Gesichter in seiner Mauer, diese wenigen Eingänge für Licht. Ihm schien es als bliebe das Leben außerhalb seiner dicken Mauern und drinnen? Was war es eigentlich dieses Innere des Doms? eine Gewalt an Raum, ein riesiger, eingegrenzter, festgehaltener Raum.Ein Stück Weltraum auf Erden gebracht, dennoch bestimmte die Erde mit ihrer Anziehung, jedoch hatte er immer einen Sog nach oben empfunden, wenn der Blick an den langen Säulen hinaufkletterte, konnte eine Schwerelosigkeit im Geist entstehen. Wenn die Orgel erklang und die Tönen hinaufflogen weit oben schwebten, das hochentfernte Dach aufbräche, er sah es, dieser Moment schien ihn in Schwerelosigkeit zu reißen und ein Schauer lief über seinen Körper, als könne Befreiung sein. Dann aber, kaum nahm man den Boden wahr, stürzte die heraus blühende Freude ein und wandelte sich in einen Schluchzer, den man schnell und leise, vor allem leise und anständig schlucken mußte, beengende Worte vertrieben weite Gefühle und der Moment, man könne vielleicht doch lieben, zerbröselte in den eigenen Händen. Geleierte Gebete zimmerten einen Zusammen und schnell war das Gehege gebaut, der Käfig des angeblich irdisch Seins, der für Menschen scheinbar so wichtig sein sollte. Die Drohungen, die Ratschlägen, die Belehrungen, die Erzählungen, brachten das Fremde, die kalte Ferne schnell zurück, und jener Moment, wo sich das Dach wie ein Blüte öffnete und er schwerelos mit den Tönen schwebend Schwingung wurde, wo er hatte hoffen können, dass ein Gott vielleicht sei, wo er ahnte, das Glaube ist, vielleicht sogar in ihm war in sich zusammengefallen. Es blieb nur das Gefühl, dass, wenn es einen Gott gäbe, war dieser lange schon hinaus gegangen. Schwere sank über das eigene Wesen Eine Last und eine kalte Fremde zog in einen hinein. Er erinnerte sich an viele Erlebnisse in großen Hallen, unter hohen Decken riesiger Gebäude, er hatte diese Orte oft auf gesucht, dort erfüllte ihn ein übersichtliches Atmen, dass ihn, als ein in Ordnung, zu seiender Mensch erscheinen ließ. Seit ein paar Jahren ging er selten in den Dom, die Bahnhofshallen, die riesigen alten, waren ihm lieber geworden. In Ihnen schien ihm der Boden wie ein warmer, wilder Fluß, in aufgeregter Spannung. In ihnen hielt nur eine Kuppel das Weltall und liess es zu vielen Seiten entweichen um neu einzudringen, und am Boden und zu den Seiten bewegte sich das geballte Leben kompakt. Hier schwangen Emotionen, Fragen, Antworten, Gefühle, Wünsche, Schmerzen, Ängste durcheinander, all die menschlichen Facetten dachte er. Die Schienen, wie gelegte Leitern, die Richtungen möglich machten und in Freiheit und Wandel wiesen. Hier hatte er das erstmal geahnt was Barmherzigkeit sein könnte. Barmherzigkeit, dachte er, im Dom hatte er Barmherzigkeit oft gesucht, aber dort waren keine Flüsse, der Boden war kalt, die Bänke hart und das Leben fleht dort. Es ist dort nur noch damit beschäftigt sich selbst herauszuheben aus der menschlichen Unwissenheit, Blindheit, es bestimmt ein Sehen, dem man sich zu unterwerfen hat. Das menschlich Unübersehbare durcheinander warf man vor die Tür, die Angst vor dem Tod war Unglaube, der den Zustand des Menschen als Wesen angesichts des völlig Unbekannten eines Sterben-müssens, wird hier aufgehoben, vollständig weg geredet, hier gibt es Anleitungen für ein verhalten mit dem man den Tod in Schach halten könne, wie man das Sterben als einen gang in den Himmel verstehen solle und ansonsten aus dem leben verdränge. Hier bewachten sie etwas bewachten einen. Das Hüten war gegangen mit dem Schloß am Kirchtor, war gegangen als das Recht ging in der Kirche un unantastbar und nicht verlautbar zu sein. Diese letzen Reste Barmherzigkeit und Behütung hatten sie ausgekehrt über Jahrhunderte. Diese Lehrer, waren keine Kinder, kein Christus, das waren Erwachsenen gewesen die ihre Wahrhaftigkeit ihrem eigenen Leben gegenüber aufgegeben hatten. Würden Kinder, wirkliche Kinder nicht die Kirchtüren aufreißen, die Luft hineinlassen, kleine Geborgenheitsetagen einbauen, wärmende Lampen hineinbringen, würden sie nicht hineintappen und singen und Maria küssen, den Engeln Socken anziehen den Esel streicheln und den Jesus vom Kreuz holen und ihn liebevoll betten und reparieren und ihm erzählen aus ihrer Welt und von Zügen die fahren und von Regentropfen auf den Wangen und fragen, fragen und zur großen Decke schauen und voll Wissenshunger sein? Und würde sie nicht, hätte man die Kinder wirklich sein gelassen, jeden hinein holen wollen um ihnen zu zeigen wie schön es aussehe, wenn sie es gestaltet hätten. Mitteilen ist auch Teil im Sinne von was abgeben, dieses mitteilen lieben Kinder und sie können es gut und sie sind sehr großzügig darin, verbittert geizen wir dann, als Erwachsene damit. Sicher teilten sie auch ihre Schokolade. Nein diesen Dom hatten Pharisäer gefegt, was sind Pharisäer? dachte er. Auf jeden Fall bedeutet es eine Entfernung vom Strom des Lebens, wenn man Pharisäer ist, überlegte er. Diese seine Gedanken an die Kinder machte ihm Spaß und er blieb stehen. „Ich muß das noch ein wenig weiter denken mit den Kindern. Was, wenn man die Türen offen ließe und nur Kinder dürften hinein, vielleicht ginge das meiste gleich kaputt, vielleicht klauten sie alles, glaubte er das wirklich, würden sie überhaupt hinein gehen? Wieder kam ihm der Gedanke, es ist zu spät, wir müssen etwas komplet Anderes, Neues bauen.
Er dachte einem Bild nach und sah ein kleines Mädchen, die wunderschön geschnitzte Maria hinaus tragen und Gänsehaut überlief ihn. Er schaute dem innern Bild nach und spürte die Träne in seinen Augen nicht, es ist anstrengend diesen fantasierten Bildern nach zu schauen, sie erfassen zu wollen. Die Marienstatue war eigentlich viel zu schwer für den kleinen Körper des Mädchens. Die kleine Füße eilten über den Platz, die Maria festumschlungen, soweit es ging mit den ach so kleinen Händen. Mühsam mußte sich der Platz unter den kleinen Schritten ziehen, eine weite Wüstenreise, „ich trag dich,“ weinte das Kind fast vor Erschöpfung, erreichte aber das Ende des Platzes und setzte sich erschöpft an eine Häuser wand. Es hielt die große Figur, wie ein zu großes Kind im Arm, neigte sich wie eine Mutter über Maria und strich ihr liebevoll über das Gesicht. Er versank in diesen innerlichen Anblick und fühlte viel. Er schloß die äugen und öffnete sie wieder. Wie würde es weitergehen, er könnte es später durchspielen, in Ruhe sich mehrere Versionen überlegen. Aber doch, diese kleine Brücke noch denken, es würde nach allen Möglichkeiten so enden, dass das Kind die Maria eines Tages wieder in den Dom tragen würde. Es würde sie aufstellen, würde ihr alle möglichen Decken und Blumen und Tücher zu Füßen legen, würde, weil die Erkenntnis, dessen war er sich sicher, dass das Kind dächte, dass diese Maria für alle dasein wollte, dass alle daran teilhaben sollten, dass alle sie brauchten und dass das Kind das verstand, ja als schön als erfreuend empfand. Dieses Kind hatte in Maria eine Liebe gesehen, und die wollte nun in diesem Kind leben. Warum war er so sicher, warum wußte er, dass es so kommen mußte, was machte ihn gewiß? Dieses Gewisse gehörte zu seinem Weg. Es lag an ihm es annehmen zu wollen, erkennen zu wollen, leben zu wollen. Er machte sich auf Richtung Arbeit zu gehen. Vor ihm lief ein gebeugter Schuljunge mit viel zu schwerem Ranzen über den Platz. Frühzeitig am Alten haften, das durchleben, was andere auch durchleben mußten, dachte er. Er fragte sich, was dieser junge wohl täte, in seiner Domfantasie und dachte, vielleicht ginge dieser Junge hinein und holte sich einen kleinen Christopferus und verbarg ihn unter seinem Mantel. Nein er würde ihn nicht verbergen, er hätte ihn an sein Herz gelegt, so nah wie möglich, dass das Holz unter seinem Pulli direkt auf der haut läge. Dass er ihn wärmte, schützte vor der Welt. Keinen Superman, keinen Tarzan, keinen Batman hätte er sich geholt. Er trüge am seinem Herz auf der nackten, wärmenden Haut den Christopferus und trüge ihn bis in sein Zimmer. Wäre das Holz durch wärmt, würde er ihn schützen. Er nähme ihn mit in sein Bett und Christopher wäre nicht mehr einsam auf dem Sockel in der dunklen ,kalten Kirche. Er wäre da bei ihm, dem lebendigen, kleinen Jungen, der ihn liebt und sicher der kleine Junge glaubte, dass Christopher ihn beschützen würde. Ihm Licht brächte seinen Weg zu gehen und ihn das Dunkel, wovor er sich fürchtete, würde zurück weichen, würde natürlich widerspruchslos vor diesem geliebten Christopher zurückweichen. Vielleicht ging dieser Junge so gebeugt zur erde gedrückt nicht wegen der aufgebürdeten Last des Ranzens, sondern, weil er sein Liebstes birgt. Der Junge verschwand um die ecke und er selbst sah nachdenklich in ein Schaufenster. Dort türmten sich Kinder Figuren und Legohelden. „Schwer ist es für euch Dinger, soviel müßtet ihr verkörpern, da braucht es wilde, bedrängende Reklame. Und pausenlos lösen euch neue Helden ab. Vielleicht glauben die Kinder euch nach ein paar tagen nicht mehr finden nicht das zu bergenden, das was sie aufnehmen annehmen könnte darin, können nicht ihr Inneres anvertrauen und nach ein paar Tagen spürt das Kind dass es seine Liebe doch nicht hinein zu würgen schaffte, dieses Ding braucht nichts, es ist vollständig und fertig in seiner gesamten Bestimmung es braucht auch kein Kind das Kind kann ihm nicht helfen. das Kind muß seinen Spielen, Anweisungen gehorchen. Es schreit frustriert nach einer neuen Figur. „Schluß jetzt!“ sagte er und beschloss sich einen Kaffee zu holen. Er mußte jetzt dringend seine Erledigungen machen und auf in eine alltägliche nüchterne Verfassung kommen. Er drehte sich noch einmal zum Dom, wie um sich zu vergewissern, dass dieser nicht anders aussah, als er ihn vorher gesehen hatte. Was eigentlich, wenn wir einfach, einfach ein neues Gebäude bauen, einfach auf brechen und versuchen auch einen großen Raum fassbar zu machen, aber voller neuer Hoffnungen, voller Licht und Farben. Wahrhaftig suchen ist zu sein wagen und zu werden ist aufbrechen, ein schönes, freundliches Gebäude, ohne vorherige Bestimmung, allein aus unserer Hoffnung gebaut, dass mehr möglich ist als wir erfassen, und zum Zeichen, dass wir an eine Zukunft glauben, an Gestaltungsmöglichkeit, an einen uns unbekannten Sinn, der sich erfüllt, einfach weil wir sind. In diesem Raum wäre völlige Unantastbarkeit der Person und des Lebens. Genau das bauen, von dem alle sagen würden, es geht nicht, es ist noch nie gegangen. Stein auf Stein, Traum auf Traum, Balken zu Balken, Hoffnung zu Hoffnung, Mauer auf Mauer, Aufbruch auf Aufbruch, Dachziegel neben Dachziegel, es wagen neben es wagen, Fenster zu Fenster, Suchen zu Suchen, das Wagen müßte das Dach bilden. Genau empfinden kann ich es, vielleicht könnte es dann auch sein. Wenn es auch mit dem Vorstellen über mein Hirn hinaus zugehen scheint, so scheint mir aber genau dieser Form von Hinausgehen, Aufbrechen, der sollten wir nicht aus dem Weg gehen, dass ist kein verrückt werden, das Gegenteil ist der Fall. Es öffnet, öffnet auch den Lebenswillen, den Wissensdurst, den Lernwillen, ist der Boden für Wissenschaft und Erkenntnis für Interesse an Gemeinschaft. Machen wir uns doch auf ins menschliche Weltall. Der Raum ich kann ihn fast mit Händen fassen, freute er sich und ging seit langer Zeit das erstmal wieder mutig und zuversichtlich den Kaffee zu holen und nach vorne zu tragen.