4 ER: Wenn man nur lieben könnte
ER
Wie lange? dachte er, wie lange schon war es immer so gewesen, war man so angetreten, in gewisser Weise ohne sich und suchte sich ein Leben lang. War es das? Es konnte nicht sein, er wollte es so nicht und wußte auch, dass es anders, na ja auf jeden Fall anders sein könnte.
Im Laufe der Jahre hatte er viele Weisen gelernt einfach weiterzumachen.
In gewisser Weise zu funktionieren.
Er hatte gelernt den Schmerz zu ertragen.
Obwohl, wenn er ehrlich war, liebte er auf jeden Fall im nach hinein mehr die Tage, an denen ein Schluchzen aus ihm herausgebrochen wäre, als die Tage, in denen er innerlich verstummte,
als wäre nix, und in irgendeiner Weise leblos neben sich herlief .
Man liebt Gefühle, dachte er. Was war es, dieses bei sich sein? Sich darin empfinden?
Wieso verwendete man soviel Mühe darauf, dieses so selten wie möglich zu leben, zu zeigen,
diese Bedrohlichkeit?
Vor was? Warum? Ja man war immer bedrohlich, wenn man echt war, bei sich.
Wie, wenn man ein Kind mit sich trägt, man ist verletzlich, über es, über das Kind.
Man lernt schnell dies Kind zu verstecken, im Keller einzusperren, bis es nicht mehr zu sein scheint. BIs man es nicht mehr hört und am Ende nicht mal mehr weiß, wo der Schlüssel zur Kellertür ist, wo Keller ist und ob es überhaupt einen Keller gibt?
An diesen Zustand war er geraten, als er hier stand, am Strand. Der Wind sagte ihm nichts, das Meer auch nicht.
Er stand dort sauber, adrett, charmant lächelnd.
Er würde sich umdrehen, Freunde treffen, Kaffee trinken, plaudern.
Was fehlte? Nichts, er seufzte, wenn nur die Leere ihn nicht einholte, niemand verdacht schöpfte, niemand fragte, und vor allem, er es lange genug selbst vergäße.
Er zog die Strandlatschen aus und ging ans Wasser.
Berührbar sein, die Wellen zogen über seine Füße hin und nahmen den Sand unter seinen Füßen mit. Der Wind lies nicht von seinem Gesicht ab, berührbar sein!
Vergangene Zeiten legten sich in den Geruch der Seeluft, teils vertraut und doch eben befremdent, als wäre der Ort und die Zeit beliebig, nur der Sachverhalt, eben er in etwas, als etwas und wie blind!
So viel war über ihn hinweggegangen, Erziehendes, Erfahrenes, Begegnungen, Menschen.
Er wandte sich dem Land zu, hatte plötzlich Sehnsucht nach den Wänden eines Hauses, sich zu verstecken, zu bergen.
Wenn sie nur nicht aufhören zu klopfen, wenn sie nur nicht aufhören etwas zu bewegen. Vielleicht würde er eines Tages seine Tür öffnen, die Gedanken zulassen, sich wertvoll empfinden, sich befreien aus den zu festen Strukturen. Das Haus wieder finden, mit dem Keller, vielleicht könnte er die Türe öffnen, vielleicht könnte er wieder Leben empfinden, vielleicht alles im Keller versteckt gefangen gehaltene
befreien. Wenn sie nur nicht aufhören zu klopfen, obwohl er solche Angst hatte vor dem Durcheinanderbringen seiner sicheren Ordnung, einzementiert. Er hätte mehr lieben können, er könnte lieben, würde er das aushalten? Aushalten, überhaupt nur ein bisschen zu sehen? War er zu leblos gewesen, hatte den Mut zum Leben nicht gewagt auf zu bringen, hätte sich wehren müssen, sich Leben zutrauen müssen! Warum hatte er anderen vielleicht zu viel Macht zu gestanden, sie zu Göttern gemacht, natürlich war jedes Kind zunächst vollkommen abhängig von einer liebenden Zuwendung von außen, und wenn sie nicht kam, verkümmerte als erstes die Fähigkeit zur Freiheit, der Mut zur Wahrnehmung und der Mut zum Dasein. Ohne Dasein aber keine Liebe.
Jetzt wollte er auf das Leben zugehen, es sich zutrauen, wollte dort Wärme entwickeln in seinem Zentrum.
Ein Tag!
Wenn man nur lieben könnte, wäre alles alles gut, wäre alles gut.
Die Bahntüren öffneten sich und er stieg ein.
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